Bürgerbeauftragte stellt Jahresbericht 2022 vor

Stuttgart – 15.11.2023: Jahresbericht 2022 der Bürgerbeauftragten - Auch ein Aufruf zum Umdenken in den Verwaltungen und zur transparenten Führung innerhalb der Polizei Baden-Württembergs

2022 gingen bei der Bürgerbeauftragten mit Zuständigkeit für die Landespolizei Baden-Württemberg 723 Eingaben und Beschwerden ein. Davon betrafen 581 Fälle Verwaltungshandeln und 142 Fälle die Landespolizei. Im Berichtsjahr konnten 673 Fälle abgeschlossen werden, das entspricht einer Quote von 93 %. In rund 75 % der Fälle konnte ein positives Ergebnis erreicht werden.

Die Verwaltungen in Baden-Württemberg stehen vor großen Herausforderungen, die von manchen Führungskräften auf die lange Bank geschoben wurden und diese Fehlleistungen nun deutlich nach außen sichtbar werden. Denn einige Verwaltungen sind vielen anderen bei der Digitalisierung, bürgerfreundlichem Verhalten und flexiblem, zielführendem Handeln weit voraus.

In strukturkonservativen Verwaltungen können Verwaltungsvorgänge nicht zeitnah bearbeitet werden und die Mitarbeitenden der Behörden fühlen sich zusehends überlastet. Ursächlich ist insbesondere eine nach wie vor nicht ausreichende Digitalisierung von Verwaltungsabläufen, hohe bürokratische Vorgaben und teilweise wenig serviceorientierte Arbeitsweisen der Behörden.

Bereits im Jahr 2022 zeichnete sich ab, dass besonders die Ausländerbehörden nicht nur an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gerieten, sondern manche Behörde buchstäblich drohte zu kollabieren. Es meldeten sich bei uns immer mehr Menschen, die aufgrund zu langer Bearbeitungszeiten ihres Aufenthaltstitels um ihren Arbeitsplatz bangten oder sich von einer Abschiebung bedroht sahen. Auch im Bereich der Bürgerämter und der Führerscheinstellen wäre ein bürgerfreundlicheres Handeln möglich und wünschenswert gewesen.

Besonders hervorzuheben ist das Phänomen „Long Covid“ in den Verwaltungen. Statt zum Status quo der Erreichbarkeit und zu verbindlichen Öffnungszeiten zurückzukehren, verharren einige Verwaltungseinheiten in ihrer Komfortzone der Nichterreichbarkeit für die Bürgerinnen und Bürger. Doch ist eine leistungsfähige und bürgernahe Verwaltung für das Funktionieren und die Akzeptanz des demokratischen Rechtsstaats von herausragender Bedeutung. Insofern berühren die Entwicklungen den Kern des demokratischen Konsenses und das Team der Bürgerbeauftragten möchte mit den Beispielen im Jahresbericht 2022 auch zum Nachdenken anregen.

 

Mit der Vorlage des Jahresberichts 2022 stellt die Bürgerbeauftragte Baden-Württembergs, Beate Böhlen, die Forderung für eine dringend benötige Neuausrichtung der Polizeikultur vor. Von den 723 Eingaben bei der Bürgerbeauftragten bezogen sich 142 auf die Polizei – ein Bereich, in dem das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger immanent ist.

"Kooperation vor Konfrontation ist unser Credo. Doch der Blick von außen ist keine Kritik an unserer Polizei, sondern ein unabdingbarer Akt der Qualitätssicherung", so Böhlen. Die Bürgerbeauftragte fordert ein mutiges Umdenken, um das Vertrauen in die Polizei wieder zu stärken. Dies beinhaltet die Bereitschaft, sich von unabhängigen Stellen beraten zu lassen – eine Struktur, die mit der Bürgerbeauftragten bereits existiert, aber noch zu wenig genutzt wird.

Entwicklungen in anderen Bundesländern zeigen, dass die Einführung von Bürger- oder Polizeibeauftragten voranschreitet. Dies zeigt auch der aktuelle Gesetzesentwurf zur Einführung eines bundesweiten Polizeibeauftragten. Solche unabhängigen Stellen sollen das Vertrauen in die Polizeiarbeit stärken, mehr Betroffene zur Meldung von Missständen ermutigen und gleichzeitig die Polizei vor ungerechtfertigten Anschuldigungen schützen, was für eine transparente und effiziente Polizeiarbeit essenziell ist.

Die aktuellen Vorfälle und Skandale sowie das Feedback der Polizeibasis legen nahe, dass die Zeit für ein echtes Umdenken auf der obersten Führungsebene gekommen ist. "Bin ich, als parlamentarisch gewählte Bürgerbeauftragte, ausdrücklich erwünscht? Diese Frage stellt sich, wenn unbequeme Wahrheiten ans Licht kommen", sagt Böhlen. Die kritische Selbstbetrachtung und das Streben nach Verbesserung sind keine Schwächen – werden jedoch, so der Anschein, von der aktuellen Polizeiführung so gesehen.

Die Bürgerbeauftragte hebt hervor, dass die internen Maßnahmen und die Selbstreinigung der Polizei nicht ausreichen. Die Schaffung einer Stabstelle "Moderne Führungs- und Wertekultur" mag ein Schritt sein, doch ohne echte Unabhängigkeit bleibt der Erfolg fraglich. "Halbherzigkeit darf nicht der Weg sein", betont Wolfgang Jaeger, der als externer Berater und ehemaliger Polizeibeamter die Bürgerbeauftragte berät.

Die Frage nach der Kontrolle der Kontrolleure wird laut, insbesondere, wenn Hochschulprofessoren der Hochschule der Polizei von einem "System der Angst" innerhalb der Polizei sprechen. Böhlen stellt sich die Fragen: "Wer schaut auf das Gesamtsystem Polizei und wie frei dürfen deren Akteure handeln?"

Böhlens Fazit des Jahresberichts ist klar: "Die Basis der Polizei, die täglich für unsere Sicherheit sorgt, verdient die bestmögliche Führungsleistung. Es ist Zeit für einen Neubeginn, für einen echten Kassensturz, nicht nur für kosmetische Korrekturen. Wir sind bereit, diese Herausforderung auf Augenhöhe mitzugestalten. Insbesondere als Ansprechpartnerin für alle Organisationangehörigen zu fungieren, welche Unregelmäßigkeiten oder Missstände aufzeigen und um Hilfe bitten." Sie appelliert an die Polizei, sich als lernende und kritikfähige Organisation zu begreifen, die offen für externe Perspektiven ist.

Die Bürgerbeauftragte möchte dazu beitragen, dass die Polizei eine Vertrauensorganisation bleibt – eine, die lernt und Kritik als Chance zur Verbesserung sieht.

Über die Bürgerbeauftragte des Landes Baden-Württemberg

Die Bürgerbeauftragte ist eine unabhängige und überparteiliche Anlaufstelle, die sich für die Stärkung der Bürgerrechte und das öffentliche Vertrauen in die Verwaltung einsetzt. Sie fördert den Dialog und arbeitet auf eine konstruktive Lösung von Konflikten hin. Seit 2019 bekleidet Beate Böhlen das Amt der parlamentarisch gewählten Bürgerbeauftragten mit Zuständigkeit für die Landespolizei.

Der Tätigkeitsbericht, der jährlich dem Landtag vorzulegen ist, wurde als Drucksache 17/5143 (PDF) in den Gremien des Landtags beraten. Der Jahresbericht kann auf der Homepage der Bürgerbeauftragten heruntergeladen werden.

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