Fall des Monats

Damit eine kleine Sache sich nicht groß hinzieht

Es geht um die Rückzahlung von zu Unrecht bezahlten Rentenbeiträgen – und um ein Verbummeln. Drei Jahre lang ist Herr G als Geringverdiener mit 450 Euro Monatslohn beschäftigt. Bei einer Lohnsteuerprüfung stellte das Finanzamt fest, dass seine Arbeit bei der Firma nicht als geringfügige Beschäftigung hätte laufen dürfen. Sein Minijob wird aberkannt, sein Gehalt als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit versteuert und die fällige Steuer nachbezahlt. Die für den Minijob von Herrn G zu Unrecht bezahlten Abgaben hat er schnell zurückbekommen – mit Ausnahme der Beiträge für die Rentenversicherung.

Untergegangen: Auch etliche Erinnerungsschreiben genügen mitunter nicht, um einen noch nicht abgeschlossenen Vorgang wieder aus der Versenkung zu holen. Manchmal braucht es dafür ein Extratelefonat.

Herr G mahnt die ausstehende Rückzahlung bei der Rentenversicherung an. Keine Reaktion. Innerhalb eines Zeitraums von fast einem Jahr verschickt er vier Mahnschreiben, bis er endlich eine Zwischennachricht und die Zusage bekommt, dass man seinen Vorgang nun so rasch wie möglich bearbeiten werde. Es geschieht aber wieder nichts. In seiner Verzweiflung schreibt er an den Vorstand der Deutschen Rentenversicherung, doch auch dies bleibt ohne Erfolg.

Im April 2022 wendet sich Herr G an die Bürgerbeauftragte als seine letzte Hoffnung mit der Bitte, ihm bei der Rückforderung der Rentenbeiträge behilflich zu sein. Wir nehmen uns der Sache sofort an und telefonieren mit dem zuständigen Sachbearbeiter. Der erinnert sich sogleich an den Fall, kann sich aber nicht erklären, warum die Zahlung noch nicht erfolgt ist. Er verspricht, dem nachzugehen. Wenige Tage später teilt er uns mit, dass die Angelegenheit tatsächlich „untergegangen“ sei. Kurz danach erhält Herr G einen Bescheid, der seinen Anspruch bestätigt und die Rückzahlung zusichert.

Unsere Intervention hat also dazu geführt, dass die Angelegenheit, die sich bis dahin bereits über ein Jahr lang hinzog, innerhalb weniger Tage erledigt wurde. Dabei gab es in diesem Fall nicht einmal Klärungsbedarf: Die Rechtslage war von Anfang an klar und unstrittig.

Zurück in die alte Heimat

Im Juni 2020 ist Herr A gestorben, ein Bürger Bosnien-Herzegowinas, der mehr als 40 Jahre lang in Baden-Württemberg zu Hause war. Als 30-Jähriger kam er ins Land, als einer der jungen Männer, die man damals „Gastarbeiter“ nannte. Er ist geblieben, hat den Kontakt zu den Verwandten in der alten Heimat aber nie verloren. Als er in Deutschland stirbt, ist er – ledig und kinderlos – allein. Zwei Wochen später wird seine Leiche verbrannt und die Urne einige weitere Wochen darauf in einem Gemeinschaftsgrab beigesetzt. Monate später fragt sein Neffe: „Wie ist es möglich, dass ein so starker und geordneter Staat wie Deutschland dies legal einem ausländischen Bürger antun kann: ohne das Konsulat und seine Familie zu benachrichtigen, ihn zu verbrennen und alles zu nehmen, was er hatte?“

Wenn Infos versanden: Wir konnten klären, woran es lag, dass Informationen nicht ankamen. Dieser Fall zeigt auch, dass schon geholfen ist, wenn wir den direkten Kontakt zwischen Zuständigen und Betroffenen herstellen.

Aber von vorne: Nach Herrn As Tod in einem Krankenhaus der Stadt T macht sich das dortige Amt für öffentliche Ordnung sofort auf die Suche nach Angehörigen, die bereit sind, für die Bestattung zu sorgen. Ohne Erfolg. Sieben Tage später bittet das Amt das Generalkonsulat per Fax um Hilfe: Es soll die in Bosnien und Herzegowina lebenden Angehörigen informieren und sie auffordern, sich binnen einer Woche zu melden, wenn der Verstorbene nach Bosnien überführt werden soll. Telefon- und Faxnummer des städtischen Bestattungsdienstes werden mitgeliefert – und auch der Hinweis, dass man ansonsten die ortsübliche Feuerbestattung veranlassen werde. Als man weder vom Konsulat noch aus Bosnien etwas hört, nehmen die Dinge ihren Lauf.

Inzwischen wird die Verwandtschaft in Bosnien langsam unruhig: Sie hat von A nun schon länger nichts gehört, viel länger als üblich. Warum meldet er sich nicht und ist auch nicht erreichbar? Sein Neffe fragt in Deutschland lebende Bekannte, ob sie etwas herausfinden können. Und so erreicht ihn und seine Verwandten erst ein halbes Jahr nach As Tod die Nachricht, dass der Onkel und Bruder gestorben ist.

Der Neffe kontaktiert das Standesamt der Stadt T, erhält die Sterbeurkunde und die Information, wann und wo A bestattet wurde. Der Neffe will mehr wissen: über die Todesursache, den Verbleib der persönlichen Dinge aus As Wohnung, seinen Nachlass. Er fragt, warum man ihn und seine Familie nicht über den Tod informiert hat. Und er fragt, was er jetzt noch tun kann, damit die Urne im Familiengrab beigesetzt wird, wie A es sich gewünscht habe. Auf Anraten des Menschenrechtsbeauftragten von Bosnien und Herzegowina wendet er sich mit diesen Fragen an die Bürgerbeauftragte.

Die Legitimation des Neffen ist klar, und so fragen wir beim Amt für öffentliche Ordnung nach. Von dort kommt binnen weniger Tage Antwort, samt Kopien der damaligen Schreiben. Wir schildern dem Neffen die Abläufe. Wir informieren ihn darüber, dass er sich zwecks Überführung der Urne auch jetzt noch an den städtischen Bestattungsdienst wenden kann, teilen ihm die Kontaktdaten mit und stellen den Kontakt zum Nachlassverwalter her. Drei Tage darauf bedankt sich der Neffe für die schnelle Antwort. Wörtlich schreibt er: „Für Ihr Engagement und die professionelle Arbeit bin ich Ihnen sehr dankbar.“

Breite Türen genügen nicht

Frau D ist in ihrer Kindheit und Jugend jahrelang von ihrem Vater sexuell missbraucht worden. 2014 beginnt sie, das Geschehene psychologisch und juristisch aufzuarbeiten. Sie leidet unter einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung, die so stark ist, dass die studierte Pädagogin als vorläufig erwerbsunfähig gilt. Sie bekommt einen Schwerbehindertengrad von 80 Prozent zugesprochen und erhält Hilfe zum Lebensunterhalt. Bis Oktober 2019 ist sie bei der Stadt B gemeldet. Sie fühlt sich dort gut aufgehoben: Die Sachbearbeiterin ist interessiert und über die Pläne der Ärzte und der jungen Frau, die versucht, durch ehrenamtliche Arbeit Struktur in ihren Alltag zu bekommen, gut informiert. Doch dann wird Frau D die Wohnung gekündigt, sie findet in der Stadt keine neue und muss ins Umland ziehen. Deshalb ist fortan nicht mehr die Stadt, sondern das Landratsamt für sie zuständig. Und damit beginnt für Frau D eine Odyssee in die Wirren des Verwaltungshandelns.

Öffentlichkeit schafft Bewusstsein. Viele schlechte Erfahrungen hat eine traumatisierte Frau mit Verwaltung und Behörden machen müssen. Indem sie ihre Erlebnisse öffentlich machte, will sie zeigen: Auch psychisch behinderte Menschen haben Anspruch auf Barrierefreiheit.

Erst muss sie die Erlaubnis zum Umzug bei einem ihr fremden Sachbearbeiter einholen. Dann einen neuen Antrag auf Sozialhilfe stellen, obwohl ihr die Leistungen schon bis März 2020 gewährt worden waren. Es folgt der Vorwurf, ein Nebenkostenguthaben nicht angegeben zu haben – dabei hatte Frau D darüber informiert und den Betrag bereits überwiesen. Dann wird Frau Ds Anlauf, an einem Reha-Programm der Agentur für Arbeit teilzunehmen und in den Berufsalltag zurückzukehren, fast vereitelt. Der erneute Antrag auf Prüfung ihrer Erwerbsunfähigkeit wurde wochenlang nicht weitergeleitet. Ihr Antrag auf Übernahme der Müllgebühren verschleppt. Nachdem noch weitere Vorkommnisse folgen, beschwert sich Frau D im Juni 2020 beim Vorgesetzten ihres Sachbearbeiters.

Im Juli 2020, als sie aufgefordert wird, eine Schweigepflichtentbindungserklärung einzureichen, obwohl sie das schon vor fünf Monaten gemacht hatte, reicht es Frau D. Sie bittet den Vorgesetzten um einen Wechsel der Sachbearbeitung. Sie erklärt ihm, dass es für sie aufgrund des Missbrauchs durch ihren Vater tendenziell eher schwierig ist, ein Vertrauensverhältnis zu einem Mann aufzubauen. Dass sie durch die Vorkommnisse ihre Grenzen überschritten sieht und sich bei ihrem Sachbearbeiter nicht mehr wohl und sicher fühlt. Dass Barrierefreiheit für aus psychischen Gründen schwerbehinderte Menschen bedeute, einen Wunsch auch dann zu respektieren, wenn er dem Gegenüber nicht ganz verständlich ist. Die Antwort des Vorgesetzten lautet dennoch, ein Wechsel des Sachbearbeiters sei nicht notwendig.

Frau D schreibt einen Brief an den Vorgesetzten, die Abteilungsleiterin und den Leiter des Sozialdezernats mit detaillierter Begründung. Sie regt an, im Landratsamt einen Fachtag zum Umgang mit Menschen mit psychischen Behinderungen zu veranstalten, um zu verstehen, dass es für Menschen mit Behinderung nicht ausreicht, nur breitere Türen und Aufzügen zu bauen. Ende Juli 2020 wird ihr der Wechsel zu einer Sachbearbeiterin gewährt. Die dann jedoch den Bescheid der Rentenversicherung zu Frau Ds Erwerbsunfähigkeit wochenlang liegen lässt. Eine weitere Beschwerde führt nur dazu, dass Frau D das Gefühl vermittelt wird, mitschuldig zu sein – was leider an den immer wieder beschriebenen Umgang mit von Missbrauch betroffenen Menschen erinnert: die Unterstellung einer Mitschuld.

Nachdem Frau D also verspätet erfahren hat, dass sie einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente hat, lässt sie sich bei der Rentenanstalt beraten. Dabei erfährt sie, dass das Landratsamt ohne ihr Wissen einen Antrag auf Erwerbsminderung gestellt hat. Frau D fragt: "Warum wird nie mit mir, also der Person, um die es geht, gesprochen? Ich bin doch keine Akte, ich bin ein Mensch! Vor allem ein Mensch, der es zu gut kennt, dass Dinge mit einem ohne Erlaubnis, ohne Einverständnis oder zumindest Kenntnis gemacht werden."

Im September 2020 schreibt Frau D an die Bürgerbeauftragte. Acht Seiten füllen die Vorgänge, von denen sie uns berichtet. "Ich bekomme Panik, wenn ich daran denke, die nächsten Jahre von einer Behörde abhängig zu sein, die so viel falsch macht." Für deren Fehler gebe es keine Konsequenzen. Sie berichtet, dass sie seit ihrer Erkrankung schon viel erkämpft habe: bei Versicherungen, Familienangehörigen, dem Fonds sexueller Missbrauch. Dass sie Polizei, Kripo und eine Begutachtung überlebt hat ("anders lässt sich das nicht bezeichnen"), aber sich nie so hilflos und machtlos gefühlt habe wie bei den Vorgängen des Landratsamts.

Als Zumutung empfinde Frau D "dieses Behörden-Gewirr": Weil viel widersprüchlich sei. So heiße es etwa bei der Rentenanstalt, sie müsse Grundsicherung beantragen, was das Landratsamt aber verneint. Und weil so viele Parteien involviert sind, dass sie weder wisse, wer Kenntnis über Arztbriefe und andere empfindliche Daten hat, noch wer wann wofür zuständig ist. Sie beklagt ein "System des Angstmachens". Beispiel: Die Rentenanstalt habe fünf Jahre gebraucht, um ihre Erwerbsunfähigkeit festzustellen, und ihr werde im ersten Satz gesagt, sie bekomme keine Sozialhilfe mehr, wenn sie die Rente nicht sofort beantrage. Dazu die mangelnde Kommunikation, das Desinteresse, wirklich Probleme zu lösen – "ich kann und will einfach nicht schweigen oder hinnehmen, dass Behörden so mit einem umgehen dürfen. Das geht nicht."

Warum, fragt Frau D, gibt es in Ämtern keine multiprofessionellen Teams, wie sie in sozialen Einrichtungen gang und gäbe sind? Die verbale Solidarität mit Opfern von sexuellem Kindesmissbrauch sei immer sehr groß – aber warum fehle es im Alltag so sehr an Empathie und Verständnis im direkten Umgang mit Betroffenen und an Bewusstsein für ihre alltäglichen Schwierigkeiten? Mit ihrem Schreiben wolle Frau D dazu beitragen, dass sich das ändert.

In Abstimmung mit Frau D leiten wir deren Schreiben an den Landrat weiter. Wir betonen, dass Frau D arbeiten und ihre finanzielle Autonomie sichern möchte und durch das Nichthandeln seiner Verwaltung davon abgehalten wurde. Der Landrat bedauert ausdrücklich, dass das Verwaltungsverfahren nicht fehlerfrei verlaufen sei. Im Landratsamt habe man die Anregung von Frau D zur Sensibilisierung der Mitarbeitenden im Umgang mit traumatisierten Personen aufgegriffen. Die innerhalb der Abteilung vorhandenen Fachkompetenzen nutze man nun für ein kollegiales Coaching und es werde dazu ermuntert, externe Fortbildungsangebote wahrzunehmen.

Im Dezember 2020 teilt uns Frau D mit, dass sie eine finanzielle Entschädigung für den vom Landratsamt verursachten Verdienstausfall beantragen möchte. Dies geht jedoch nur auf dem Rechtsweg. Für den hat sie momentan keine Kraft. Sie bedankt sich bei uns für unsere Unterstützung und dass nun zumindest der Landrat sensibilisiert wurde.

Zweitwohnsitz im Gartenhaus

Was, wenn ein Gartenhausbesitzer offiziell bescheinigt haben möchte, dass er in seinem Gartenhaus auch wohnt? Das wäre sein gutes Recht. Wenn er die Bescheinigung aber dazu verwenden will, um beim Verkauf des Gartenhauses eine legale Wohnnutzung vorzugaukeln, dann wäre das rechtlich fragwürdig.

Gut zu wissen: Nach § 16 Meldegesetz ist „Wohnung“ jeder umschlossene Raum, der zum Wohnen oder Schlafen genutzt wird. Demnach kann auch ein Gartenhaus zum Zweitwohnsitz werden. Weil dabei jedoch nicht geprüft wird, ob eine bauordnungsrechtliche Genehmigung vorliegt, ist ein Zweitwohnsitz kein Indiz dafür, dass es sich um ein genehmigtes Wohngebäude handelt.

Herr W plant, sein Gartengrundstück samt -haus zu verkaufen. Aus diesem Grund will er 2021 die melderechtliche Bestätigung seines Gartenhauses als Zweitwohnsitz erneuern – denn er war dort schon einmal mit Zweitwohnsitz gemeldet, hatte sich aber abgemeldet, als die Zweitwohnungssteuer eingeführt wurde. Das Einwohnermeldeamt lehnt seine neuerliche Anmeldung jedoch ab. Herr W kann das nicht verstehen, und so wendet er sich an uns.

Auch wir können die Haltung der Behörde nicht nachvollziehen. Aus unserer Sicht ist ein Anspruch auf die Zweitwohnsitzanmeldung rechtlich gegeben. Wir fragen beim Landratsamt nach, das unsere Auffassung auch prompt bestätigt. Wir empfehlen Herrn W, seinen Antrag ein zweites Mal einzureichen. Und nach mehrmaligem Nachfassen sowohl von Herrn W. als auch von uns ist der Zweitwohnsitz schließlich wieder angemeldet. Alles gut also?

Es bleibt die Frage nach Herrn Ws Motiv. Wir machen ihm deutlich, dass er zwischen den melde- und den bauordnungsrechtlichen Vorschriften unterscheiden muss. Die Anmeldung zum Zweitwohnsitz richtet sich ausschließlich nach dem Meldegesetz und bedeutet nicht automatisch, dass eine legale Wohnnutzung gemäß Bauordnungsrecht vorliegt.

Tatsächlich handelt es sich bei dem Gebäude um ein genehmigtes Gartenhaus. Es befindet sich allerdings in einem Landschaftsschutzgebiet – eine dauerhafte Wohnnutzung ist daher generell nicht zulässig. Dagegen spricht außerdem der fehlende Wasser- und Abwasseranschluss.

Wir raten Herrn W, in seinem eigenen Interesse die potenziellen KäuferInnen darauf aufmerksam zu machen, dass es sich bei seinem Gartenhaus nicht um ein genehmigtes Wohngebäude handelt. Wird eine dauerhafte Wohnnutzung angestrebt, muss dies noch baurechtlich beantragt und geprüft werden.

Bürokratie an der Angel

Ein Hobbyangler wollte seinen demnächst ablaufenden Fischereischein verlängern und wurde vom zuständigen Amt auf die Zeit nach Corona verwiesen. Seinen Fall sehe man, so beschied ihm das Amt schriftlich, nicht als dringend an. Was in dem Schreiben fehlte, war ein entscheidender Hinweis.

Untiefe in Sachen Bürgerservice: Auch und gerade in Zeiten des Lockdowns gilt, dass Behörden auf Anfragen von BürgerInnen angemessen zu reagieren haben. Wer bei einem Amt Flexibilität und Entgegenkommen sucht, sollte nicht im Trüben fischen müssen.

Wenig hilfreich ist die Antwort der Gemeinde, die Herr A auf seine Bitte um einen Termin hin erhält. Die E-Mail liest sich wie nach Schema F verfasst:

„Sehr geehrter Herr A,
in der Zeit des Lockdowns bieten wir verschiedene Leistungen nicht bei uns im Rathaus an. Hierzu gehört auch das Ausstellen von Fischereischeinen. Nur dringende Angelegenheiten sind derzeit möglich. Bitte melden Sie sich zwecks einem Termin, sobald der Lockdown aufgehoben wurde.
Vielen Dank für Ihr Verständnis.“

Verstehen kann Herr A aber ganz und gar nicht, warum es selbst in Coronazeiten nicht möglich sein soll, den Schein zu verlängern. Es ist nicht das erste Mal, dass er die Gemeindeverwaltung als wenig serviceorientiert erlebt. Deshalb bittet er die Bürgerbeauftragte um Unterstützung.

Herr A berichtet uns, dass er unter dem Lockdown leide und Angeln für ihn eine entspannende Freizeitbeschäftigung sei. Wenn er jetzt ohne gültigen Angelschein fischen gehe, wäre es Wilderei – was eine hohe Geldstrafe zur Folge hat.

Wir nehmen Kontakt mit der Kommune auf. Der Leiter des Bürgerservices teilt uns mit, dass die Antwortmail unglücklich und missverständlich formuliert gewesen sei. Er stellt es als eine Art Missverständnis dar und kann entsprechend rasch Abhilfe schaffen: Herr A müsse mit der Bearbeitung des Antrags selbstverständlich nicht bis zum Ende des Lockdowns warten. In der Regel wäre es so, dass die notwendigen Unterlagen im Rathaus vorbeigebracht und nach Bearbeitung wieder abgeholt werden könnten. Diese Info hatte im Antwortmail schlicht gefehlt.

Unser Fazit: Obwohl schlussendlich eine unbürokratische Lösung gefunden wurde, zeigt sich hier, wie unflexibel manche Behörden während des Lockdowns reagiert haben. Anfragen abwehren, mauern und vorformuliert antworten – das ist keine Lösung und für die Behörde unterm Strich auch keine Zeitersparnis. Erst im zweiten Anlauf fand sich in diesem Fall ein Weg. Dabei stellt gerade das Angeln eine der wohl corona-konformsten Freizeitbeschäftigungen dar ...

Ofen aus

Den Nachbarn stinkt es gewaltig: Seit Jahren betreibt Frau O einen Beistellherd. Nicht zum Kochen, wofür er offiziell ausschließlich genutzt werden darf und Bestandsschutz genießt, sondern zum Heizen. Ein Holzofen also, der fast täglich viele Stunden lang brennt und vor sich hin qualmt. Der zudem mehr qualmt, als er müsste, denn Frau O befeuert ihren Herd-Ofen unsachgemäß. Das meint jedenfalls ihre Nachbarin Frau B und beschwert sich – viele Monate lang und zeitweise fast jeden Tag. Nicht nur, dass der Rauch in Frau Bs Wohnung dringt und eine starke Geruchsbelästigung darstellt: Er ist auch eine erhebliche Umweltbelastung.

Das Landratsamt ist regelmäßig vor Ort und misst und prüft, und trotzdem geschieht nichts. Denn die Behörde meint, man sei auf das Entgegenkommen von Frau O angewiesen und könne ihr den Betrieb des Ofens nicht einfach verbieten. Das halten wir für nicht nachvollziehbar. Wir wenden uns an die Umweltmeldestelle und an das Regierungspräsidium als Aufsichtsbehörde – und siehe da: Unsere Beharrlichkeit zeigt Wirkung, Frau O legt den Herd-Ofen still, das Problem ist gelöst. Das ist die Kurzfassung. In der Langfassung wird deutlich, wie langsam die Mühlen einer Behörde manchmal mahlen und welche Volten Verwaltungshandeln mitunter schlägt.

Prüfen, zögern, aussitzen? Liegen ausreichende Prüfergebnisse vor, kann beherztes Vorgehen oft Schlimmeres verhindern. In diesem Fall etwa eine einstweilige Verfügung und eine Anzeige wegen Körperverletzung.

Nochmal Schritt für Schritt: Seit Jahren beschwert sich Frau B beim Landratsamt, bis es ihr schließlich reicht und sie im Januar 2021 Kontakt mit uns aufnimmt. Wir fragen bei der Umweltmeldestelle nach und erfahren: Das Landratsamt sei regelmäßig vor Ort und prüfe schon seit längerer Zeit. Im Moment werde eine Geruchserhebung durchgeführt, sie dauere noch bis Mitte Februar. Erst danach könnten weitere Schritte erfolgen. Wir informieren Frau B, dass es nun wohl bald vorangeht. Ende Februar meldet sie aber, dass die Rauchbelästigung inzwischen so stark ist, dass sie Kopfschmerzen und Augenbrennen verursacht.

Wir telefonieren mit dem Landratsamt und hören, dass die Geruchserhebung mittlerweile abgeschlossen ist. Nebenbei erfahren wir, dass sich Frau B mit ihrem Problem inzwischen auch an Abgeordnete und weitere Stellen gewandt hat. Den Abschlussbericht des Landratsamts erhalten wir im März: Die Erhebung habe ergeben, dass es keine erhebliche Belästigung gebe, der Holzherd zulässig und die Kaminhöhe in Ordnung sei. Demnach bestehe kein Handlungsbedarf.

Am nächsten Tag erreicht uns ein Schreiben der Umweltmeldestelle: Sie fordert das Regierungspräsidium als Aufsichtsbehörde des Landratsamts auf, umfassend zum Abschlussbericht Stellung zu nehmen. Denn auch sie hält den Bericht für wenig überzeugend und das Vorliegen erheblicher schädlicher Umweltauswirkungen für naheliegend. Uns gegenüber erklärt sie, dass man auch die erhebliche Belästigung für Frau B erkenne – und eine weitere Vorortbesichtigung für erforderlich halte. Falls das Regierungspräsidium allerdings zur gleichen Ansicht wie das Landratsamt komme, sehe auch die Umweltmeldestelle keine weitere Handlungsmöglichkeit. Sie plädiert für eine Anhörung von Frau O. Frau B hätte auch die Möglichkeit, gegen das Landratsamt zu klagen – weil sie Anspruch auf Erteilung eines rechtsmittelfähigen Bescheids hat, vor allem aber: wegen Untätigkeit.

Diese Informationen geben wir am selben Tag an Frau B weiter. Die sich zehn Tage später verzweifelt an uns wendet: Am Wochenende sei es so schlimm gewesen, dass sie Frau O angerufen habe. Ohne Erfolg, denn Frau O habe gleich wieder aufgelegt. So rief Frau B die Polizei – was die Situation weiter eskalieren ließ. Frau O heize inzwischen absichtlich so, dass besonders viel Qualm entstehe. Sie drossele verbotenerweise die Klappe, sodass es zu einer noch stärkeren Rauchentwicklung komme. Frau B habe deshalb das Landratsamt angeschrieben: Sie fordert eine einstweilige Verfügung.

Uns bittet Frau B, nochmals beim Landratsamt und auch beim Regierungspräsidium nachzuhaken. Um uns ein paar Tage später mitzuteilen, dass sie nun selbst an das Regierungspräsidium geschrieben hat. Von dort kommt Mitte April eine neue Stellungnahme: Derzeit finde noch eine interne Beratung statt, danach wolle man sich aber mit der Bürgerbeauftragten in Verbindung setzen. Tatsächlich teilt uns das Regierungspräsidium Ende April mit, dass man nach einem weiteren Monat beim Landratsamt nachfragen will, welche Schritte man dort unternommen hat. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit halte man eine Stilllegung für problematisch – bestenfalls wäre eine Anordnung für den bestimmungsgemäßen Gebrauch möglich. Uns erreicht die Info, dass auch die Staatsanwaltschaft inzwischen Akteneinsicht angefordert hat. Denn Frau B hat nun Anzeige wegen Körperverletzung eingereicht.

Ende April fordern wir das Landratsamt auf, uns mitzuteilen, welche Schritte man nun unternimmt. Im Mai stößt die Umweltmeldestelle in das gleiche Horn: Sie fordert das Regierungspräsidium auf, das Landratsamt anzuhalten, endlich Maßnahmen umzusetzen. Und Ende Mai hören wir dann vom Landratsamt, dass eine Anhörung erfolgt ist mit der klaren Aufforderung, den Herd fortan nicht mehr zum Heizen, sondern nur noch für die Zubereitung von Speisen zu verwenden. Die Behörde droht Frau O an, bei weiteren Verstößen nun rechtlich gegen sie vorzugehen.

Im Juli teilt uns das Landratsamt mit, dass Frau O das Ofenrohr abgebaut hat und den Herd-Ofen stilllegen will.

Auf Augenhöhe

Wer meint, wir wüssten bei Fragen zum Steuerrecht weiter, liegt falsch. Aber wir können Fragen, die das Finanzamt betrifft, weiterleiten und dafür Sorge tragen, dass sie auch beantwortet werden. So geschehen beim Ehepaar F. Dabei ging es um einen immerhin rund 20 Jahre alten Sachverhalt. Herr F meinte, das Vorgehen des Finanzamts sei wenig bürgerfreundlich gewesen und belaste vor allem seine schwerkranke Frau sehr. Was im Detail vorgefallen war, schilderte Herr F in einem umfangreichen Schreiben und stellte dazu viele Fragen. Er bat den Bürgerbeauftragten, ihn dabei zu unterstützen, von der Finanzverwaltung Antwort zu erhalten.

Zur Sache: Der/die Bürgerbeauftragte ist keine Institution, die komplexe Fälle des Steuerrechts selbst aufarbeiten und prüfen kann. Hierfür stehen Steuerberater, Rechtsanwälte und der Rechtsweg zur Verfügung. Was wir aber leisten können, ist: der Bürgerin und dem Bürger Gehör bei der Landesverwaltung zu verschaffen und auf eine umfassende Prüfung hinzuwirken.

So leiten wir das Schreiben im Januar ans Finanzministerium weiter mit der Bitte, die Vorgänge zu beurteilen, die von Herrn F gestellten Fragen zu beantworten und außerdem zu prüfen, ob dem Paar im Rahmen einer Härtefallregelung geholfen werden könnte. Doch was nun folgt, ist zäh: Zunächst teilt das Finanzministerium mit, dass es die Anfrage an die Oberfinanzdirektion abgegeben hat, um eine zügige Bearbeitung zu gewährleisten. Dennoch dauert es mehrere Monate, bis die Stellungnahme fertig ist. Die dann aber erst wieder zurück ans Finanzministerium geht, wo es weitere Monate braucht, um sie zu bewerten. Wir haken mehrfach bei der Finanzverwaltung nach, und schließlich kommt Ende Juli, also nach über einem halben Jahr, die Antwort.

Die Antwort ist neun Seiten lang, Umfang und Detailgenauigkeit zeigen, dass die Fachleute bei Oberfinanzdirektion und Finanzministerium genau geprüft haben. Und sie haben sich mit Herrn Fs Fragen intensiv befasst, sie sind weitestgehend ausführlich beantwortet. Ohne Zutun des Bürgerbeauftragten wäre die Antwort wahrscheinlich nicht so umfassend ausgefallen. Zwar konnte in der Sache kein Entgegenkommen erreicht werden, doch dem Kernanliegen von Herrn F, der Aufarbeitung der Vorgänge, hat man entsprochen – wir konnten ihm bei der Finanzverwaltung Gehör verschaffen.

Im konkreten Fall hat sich das Finanzministerium auf Augenhöhe mit Herrn F begeben, man stand ihm quasi Rede und Antwort. Deutlich macht dies auch das positive Feedback des Ehepaars: Wir konnten den beiden vermitteln, dass es mit dem Büro des/der Bürgerbeauftragten eine Stelle gibt, die sich für die Bürgerinnen und Bürger einsetzt.

Über bürgerliche, astronomische und nautische Dämmerung

Was im Mai 2020 mit einem Widerspruch gegen die Höhe eines Bußgelds begann, ist eskaliert. Denn das zuständige Landratsamt weigerte sich, den Widerspruch von Frau M als rechtzeitig eingegangen anzuerkennen – obwohl diese nachweisen konnte, dass ihr Schreiben dem Amt vor Ablauf der Frist zuging. Frau M wollte das nicht hinnehmen und rief die Bürgerbeauftragte zu Hilfe, doch auch wir stießen auf Granit. Und so kochte dieser Fall zu einer Petition an den Landtag hoch.

Im Zweifel für die BürgerInnen. Ein Kommentar zum Ordnungswidrigkeitengesetz legt fest: Wenn es berechtigte Zweifel daran gibt, ob der Widerspruch gegen einen Bußgeldbescheid rechtzeitig eingegangen ist oder nicht, dann ist zugunsten des Widersprechenden zu entscheiden. Klare Sache also – eigentlich. (Beck-online OWiG § 67 Form und Frist, Bohnert/Krenberger/Krumm

Angefangen hat die Auseinandersetzung zwischen Frau M und dem Landratsamt mit einem Fehlverhalten von Frau Ms Sohn. Der 18-Jährige verstößt im April 2020 gegen das Corona-Kontaktverbot, da er mit seiner Freundin noch einen weiteren Freund auf der Straße trifft – zu diesem Zeitpunkt gilt: Sie hielten sich trotz eines Aufenthaltsverbots mit mehr als einer weiteren Person, die nicht zu den Angehörigen des eigenen Hausstands gehört, im öffentlichen Raum auf. Er kassiert ein Bußgeld von 278,50 Euro – zu viel für einen Auszubildenden, meint seine Mutter. Die Familie bezahlt die Geldstrafe, legt gegen ihre Höhe aber Widerspruch ein. Frau M wirft das Schreiben am XX. Mai, dem letzten Tag der Frist und ein Freitag, um 20.50 Uhr in den Briefkasten des Landratsamts ein. Das dokumentiert sie mit Handyfotos. Und hört monatelang trotz mehrmaligen Nachhakens nichts. Erst im Januar 2021 reagiert die Behörde: Sie lehnt den Widerspruch ab mit der Begründung, der Brief sei erst am Samstag und damit zu spät eingegangen. Frau M legt ein Beweisfoto vor und belegt ihre Fahrt zum Landratsamt außerdem mit dem Google-Bewegungsprofil ihres Handys; aus beidem gehen klare Zeitangaben hervor. Trotzdem bleibt die Behörde dabei: Widerspruch abgelehnt.

Frau M wendet sich im Februar 2021 an uns. Sie vermutet, dass bei der Leerung des Briefkastens etwas durcheinander geraten ist. Der Briefkasten hat zwei Fächer; um Punkt 0 Uhr fällt eine Klappe auf das untere Fach. Post, die nach 0 Uhr eingeworfen wird, fällt dann auf die Klappe und zählt erst für den nächsten Tag. Auch wir halten es nicht für undenkbar, dass beim Leeren des Briefkastens die beiden Fächer aus Versehen vermischt wurden, und schreiben dies dem Landratsamt. Doch die Behörde bestreitet das. Und weist darauf hin, dass mit dem vorgelegten Handyfoto etwas nicht stimme, da es bei Tageslicht entstanden, es zum genannten Zeitpunkt aber bereits dunkel gewesen sei. Ein Hinweis, der sich bei genauerer Überprüfung aber als falsch herausstellt.

Wir schrieben dem Landratsamt: Sonnenuntergang war am XX.05.20 um 20:53 Uhr. Man unterscheidet aber bei der Dämmerung 3 Phasen. Dies sind die bürgerliche, die nautische und die astronomische Dämmerung. Ausschlaggebend ist der Tiefenwinkel der Sonne. Während der bürgerlichen Dämmerung befindet sich der Mittelpunkt der Sonnenscheibe maximal 6° unter dem Horizont. Wegen des flachen Tiefenwinkels der Sonne wird ein relativ großer Anteil des Sonnenlichts noch durch die Erdatmosphäre reflektiert. Die bürgerliche Dämmerung endete am 08.05.20 um 21.30 Uhr. Als die Aufnahmen gemacht wurden, war es daher noch möglich, dass genug Licht vorhanden war um Konturen klar zu erkennen. Mit einer guten Handykamera kann dieser Eindruck noch verstärkt werden. https://www.timeanddate.de/sonne/deutschland/

Außerdem zeigten wir uns irritiert, dass das Landratsamt mit seiner Behauptung „es sei bereits dunkel gewesen“ der Bürgerin quasi einen Betrugsversuch unterstellte.

Die Stellungnahme des Landratsamts leiten wir an Frau M weiter. Parallel dazu bitten wir das Innenministerium um Klärung mit Blick auf die Frist und die Funktionsweise des Nachtbriefkastens. Von dort hören wir: Nachtbriefkästen seien zur Fristwahrung zulässig, prinzipiell sei also alles in Ordnung. Und im Streitfall müsse letztlich das Gericht entscheiden. Nun hat man in früheren Gerichtsverfahren aber bereits festgestellt, dass die Behörde einen Ermessensspielraum hat. Deshalb starten wir einen weiteren Vermittlungsversuch und bitten das Landratsamt, diesen Spielraum zu nutzen und den Widerspruch als fristgerecht eingegangen zu betrachten. Auch dies weist das Amt zurück.

Da unsere Vermittlungsmöglichkeiten damit erschöpft sind, bleibt Frau M nur der Weg über den Petitionsausschuss des Landtags. Und so legt sie im April eine Petition ein, bei der wir sie unterstützen. Auch bitten wir die zuständige Regierungspräsidentin um Mithilfe. Stand Oktober 2021 steht die Entscheidung des Petitionsausschusses noch aus.

Unser Fazit ist ernüchternd: Trotz mehrmaliger Intervention beim Landratsamt konnten wir leider keine einvernehmliche Lösung erzielen. Für die Behörde wäre es ein Leichtes gewesen, den rechtzeitigen Eingang des Schreibens zu akzeptieren. In der Folge hätte man sich um die eigentliche Sache kümmern können, die beim Hin und Her um die Frist völlig in den Hintergrund geraten ist: nämlich darum, den Widerspruch zu bearbeiten und so dem Bürgeranliegen gerecht zu werden. Wir halten es für vollkommen unnötig, dass dies nun durch ein aufwendiges Petitionsverfahren erzwungen werden muss.

Hochzeit mit Hindernissen

Dieser Weg wird kein leichter sein? Für Herrn H und seinen Partner wird er schon steinig, als sie ihren Gang zum Standesamt vorbereiten. Zwar gibt es von dort erst einmal grünes Licht: Alle fürs Heiraten nötigen Dokumente seien beisammen. Doch das sollte ein Trugschluss sein – plötzlich sieht sich das Paar mit hohen bürokratischen Hürden konfrontiert. Herr H und sein Partner sind nichtdeutsche Staatsbürger und fühlen sich strukturell diskriminiert.

Ausnahme von der Regel: Dieser Fall zeigt, dass Behörden in manchen Fällen auch unbürokratisch vorgehen und eine Ausnahme machen können. Eine Ausnahme, die Vorgaben nicht außer Acht lässt, sondern die ein Verfahren lediglich abkürzt – verbunden mit weniger Aufwand für alle Seiten.

Im Februar 2020 beschließen Herr H und sein Partner, heiraten zu wollen. Im März nehmen sie Kontakt mit dem Standesamt auf und übermitteln im April die angeforderten Dokumente. Nachdem es anfangs heißt, dass mit den Papieren alles in Ordnung sei, will die Behörde dann aber die Geburtsurkunde von Herrn H nicht anerkennen, da diese nur digital vorliegt. Herr H stammt aus Belgien und die dortigen Behörden hatten ihm die Urkunde digital zugeschickt – denn dort arbeitet man statt mit Originalen inzwischen nur noch mit digital beglaubigten Dokumenten. Ihm wird gesagt, dass die Anerkennung seiner Geburtsurkunde in der vorliegenden Form hierzulande eine Gesetzesänderung erfordern würde, das sei also nicht möglich. Außerdem heißt es nun, dass die Dokumente aus Lettland – von dort stammt Herrn Es Partner – noch durch einen deutschen Übersetzer ins Deutsche übertragen werden müssen. Das hatten die beiden "nur" von einem vereidigten lettischen Übersetzer erledigen lassen.

Das sieht Herr H nicht ein. Er wendet sich im Juni 2020 an die Bürgerbeauftragte. Er berichtet, dass die Übersetzungen aus dem Lettischen bereits mehr als 200 Euro gekostet haben, und findet, dass die jetzt vorgebrachte Forderung des Amts nicht mit europäischem Recht vereinbar ist. Zur Geburtsurkunde aus Belgien merkt er an, dass er schon versucht hat, die beiden europäischen Behörden miteinander kurzzuschließen – ohne Erfolg. Es werde ihm und seinem Partner unmöglich gemacht, innerhalb einer angemessenen Zeit in Deutschland zu heiraten. Er hat das Gefühl, dass seine Rechte verletzt werden, und vermutet, dass der bisherige Verlauf ihres Gangs zum Standesamt nicht mit dem übereinstimmt, was die EU-Mitgliedsstaaten untereinander vereinbart haben. Herr H will wissen, welche weiteren Schritte er unternehmen soll. Wir meinen: keine. Und setzen uns mit den zuständigen Behörden in Verbindung.

Im Juli 2020 nehmen wir erst mit dem Standesamt telefonisch Kontakt auf, dann mit dem Oberlandesgericht. Denn dort wird entschieden, wie mit der Geburtsurkunde aus Belgien verfahren werden soll. Dass keine Originalunterschrift vorliegt, sei nicht das Problem, erfahren wir. Sondern dass auch eine Apostille fehlt (das ist eine Beglaubigungsform im internationalen Urkundenverkehr, mit der man Rechtswege unbürokratischer macht und sie somit beschleunigt). Wir bitten darum, uns mitzuteilen, ob dennoch eine bürgernahe Lösung möglich ist.

Noch am selben Tag schreibt das Oberlandesgericht dem Standesamt, dass von der Vorlage einer originalen Geburtsurkunde abgesehen wird und eine elektronische Urkunde mit angebrachtem Zertifizierungslink genügt. Auch sei es ausnahmsweise ausreichend, dass ein deutscher Übersetzer die Richtigkeit der im Ausland gefertigten Übersetzung bestätigt. Als wir – leider erst drei Wochen später – über diese Entscheidung informiert werden, leiten wir sie gleich an Herrn H weiter. Wir hoffen, dass der Eheschließung nun nichts mehr im Wege steht, und wünschen den beiden alles Gute für den gemeinsamen Lebensweg.

Keine Lizenz zum Rasen und Drängeln

Frau F schildert uns eine unschöne Begegnung mit einem Fahrzeug der Polizei: Zuerst sei sie an einem Bahnübergang von einem Polizeiauto ohne Warnsignale stark bedrängt und dann im Überholverbot mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit überholt worden. Rund 200 Meter nach dem Überholmanöver habe das Polizeifahrzeug für einen kurzen Moment das Blaulicht eingeschaltet, um es hinter einer Kuppe wieder auszuschalten. Anschließend sei das Fahrzeug weiterhin mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit gefahren (ca. 150 km/h) – es habe, als es auf ein anderes Fahrzeug auffuhr, auch ziemlich stark bremsen müssen. Frau F vermutet, dass es sich nicht um einen Einsatz gehandelt haben kann: Warum sonst blieben die Warnsignale aus? Frau F sei dem Polizeiauto noch ein paar Kilometer gefolgt und, weil dieses auch in der folgenden Ortschaft langsam hinter einem anderen Fahrzeug herfuhr, sieht sie sich in der Annahme bestätigt, dass zu dieser Zeit kein Einsatz stattgefunden hat. Zu Hause angekommen, habe sie versucht, bei der Polizei eine Beschwerde einzureichen – und sei sehr unfreundlich abgewimmelt worden.

Deshalb wendet sich Frau F an die Bürgerbeauftragte. Sie ist der Meinung, dass das Verhalten dieser Polizeibeamten weder der zu erwartenden Vorbildfunktion entsprochen habe, noch, dass es so akzeptiert werden kann.

Wir fragen beim zuständigen Polizeipräsidium nach. Dieses bestätigt das Geschehen tatsächlich zu weiten Teilen – allerdings mit einem ganz anderen Hintergrund: Die Polizei sei auf der Suche nach einem bestimmten Fahrzeug gewesen und habe vermutet, dass es das vor Frau F fahrende sei. Sie überholten deshalb, um an das gesuchte Fahrzeug aufzuschließen und schalteten kurz die Warnsignale ein, um eine Fahrzeugkontrolle zu signalisieren. Dann erkannten die beiden Polizisten aber, dass es sich doch nicht um das gesuchte Fahrzeug handelte, und schalteten die Signale wieder aus. Aus diesen Gründen seien die Handlungen der Polizeibeamten nachvollziehbar und korrekt gewesen.

Auch zur anschließenden telefonischen Beschwerde von Frau F nimmt das Polizeipräsidium Stellung: Der beteiligte Beamte habe darauf verwiesen, dass er keine Auskünfte zu laufenden Ermittlungen geben könne, und ihr den Beschwerdeweg über die Revierleitung erläutert.

Unser Fazit fällt positiv aus, denn wir konnten Frau F den für sie sehr fragwürdigen Einsatz erklären. Auch konnte das anschließende Telefonat, das für sie sehr unfreundlich verlaufen war, durch unsere Vermittlung mit dem beteiligten Beamten besprochen und reflektiert werden.

Unzurechnungsfähig? Unprofessionell und unzumutbar!

Eine junge Frau in einem psychischen Ausnahmezustand: Nach einem Geschäftsessen und anschließendem Besuch einer Kneipe mit Kolleginnen und Kollegen findet sie sich mitten in der Nacht auf einer Bundestraße wieder, hilflos und orientierungslos. Eine Polizeistreife greift sie auf. Betrunken ist die Frau nicht, der Alkoholtest ergibt 0,2 Promille. Drogen? Auf der Wache lässt man sie alleine, aber nicht unbeobachtet in der Besucherschleuse, über eine Stunde lang. Sie friert. Eine wärmende Decke bekommt sie nicht. Im Nachhinein ist strittig, wie oft sie zur Toilette gehen durfte oder nicht. Die junge Frau nässt sich jedenfalls mehrfach ein. Ihre Hilflosigkeit mischt sich mit Wut, sie schimpft, schreit, trommelt mit den Fäusten gegen die Scheibe, sie ist außer sich. Bis ihre Eltern kommen, um sie abzuholen. Die Mutter bekommt zu hören: Man könne ihre Tochter eigentlich anzeigen, die Beschimpfungen, der nasse Boden. Sie wischt den Urin auf. Die Tochter ist doppelt beschämt. Und so unterkühlt, dass sie am nächsten Tag einen Infekt hat. Da ist ihr Kopf wieder klar: Sie vermutet, dass ihr jemand K.-o.-Tropfen gegeben hat. Ihre Erinnerungen an diesen Abend sind vage und lückenhaft. Was sie wieder erinnert, sind die Erlebnisse auf der Wache. Die Polizeibeamten. Die Scham, die Erniedrigung. Sich selbst erlebte sie als „unzurechnungsfähig“, so beschreibt sie es später, und als „komplett verloren“.

Für einen angemessenen Umgang. In den letzten Jahren haben sich immer wieder Vorfälle ereignet, bei denen der Umgang der Polizei mit Menschen unter einer akuten Belastungsreaktion oder mit einer psychischen Erkrankung zumindest fragwürdig war. Es geht um die Frage, ob bei der Landespolizei diesbezüglich Defizite bestehen und verstärkt verpflichtende Aus- und Fortbildungsmaßnahmen erforderlich sein könnten. Und es geht darum, nicht nur Vorwürfe abzuwehren, sondern die Chancen zu erkennen, die in einem offenen, auch von außen angestoßenen Diskurs liegen.

Diese Nacht Ende Oktober 2021 lässt die junge Frau nicht los. Im November 2021 nimmt sie Kontakt zu uns auf: Frau M, wie wir sie nennen, ist gerade mal 1,52 Meter groß, hat jüngst ihr Studium erfolgreich abgeschlossen und arbeitet seit Kurzem bei einem internationalen Konzern. Frau M beschwert sich bei der Bürgerbeauftragten über das Verhalten der Polizeibeamten: dass sie nicht adäquat auf ihren Ausnahmezustand reagiert hätten. Dass auf den Atemalkoholtest kein Blut- und/oder Urintest folgte, um (unfreiwillig verabreichte) berauschende oder betäubende Substanzen zu finden, und man sie nicht in ein Krankenhaus gebracht hat. Stattdessen ließ man sie frieren, in einem kalten Vorraum ohne Toilette. Einer der Beamten habe sie angeschrien und dabei bedrohlich an den Schlagstock gefasst. Auch das Verhalten der Mutter gegenüber sei völlig unangemessen gewesen. Dies teilte uns auch die Mutter selbst mit.

Wir bitten das Polizeipräsidium um Stellungnahme. Dort veranlasst man eine Untersuchung in Bezug auf ein fehlerhaftes oder strafbares Handeln und bezieht auch die Staatsanwaltschaft ein. Das Ergebnis, durch den Dienststellenleiter in einem vierseitigen Schlussbericht ausführlich dargelegt: keinerlei Fehlverhalten. Dazu der Hinweis des Präsidiums, dass man bei einer Beurteilung „am grünen Tisch“ unbedingt auch das völlig unkooperative und aggressive Verhalten von Frau M einbeziehen müsse.

Daraufhin wenden wir uns an die Landespolizeipräsidentin. Warum? Weil nicht sicher auszuschließen ist, dass Frau M unter dem Einfluss psychoaktiver Substanzen stand. Und weil wir weiterhin der Ansicht sind, dass ein professionellerer und würdigerer Umgang mit einer Person, die sich in einem psychischen Ausnahmezustand befunden hat, möglich gewesen wäre.

Um nur Beispiele zu nennen: Eine Reaktion auf das Einnässen als hochpeinliche Situation scheint nicht stattgefunden zu haben. Zudem stand Frau M in der Besucherschleuse unter ständiger Beobachtung durch männliche Beamte. Warum wurde ihr keine Decke gereicht, auch wenn sie nicht gefordert wurde? Warum wurde keine Wechselkleidung oder zumindest ein Einwegoverall angeboten? Stichwort: würdiger Umgang mit einer hilflosen Person, auch wenn diese „Ärger“ bereitet.

Bei Frau M lag eindeutig eine akute Belastungsreaktion vor (Verwirrtheit, Einnässen, Schreien, Aggressivität). Das hätte eine erhöhte Fürsorgepflicht auslösen können. Unbeantwortet ist die Frage, warum nicht einmal in Erwägung gezogen wurde, eine Ärztin oder einen Arzt hinzuzuziehen. In dem Schlussbericht wird nicht erwähnt, welche konkreten Maßnahmen man traf, um Frau M zu beruhigen oder sorgend mit ihr umzugehen. War das Halten eines Schlagstocks, zumal Frau M sehr klein ist, tatsächlich zweckmäßig? Ein deeskalierendes Verhalten hätte die Situation vielleicht entschärfen können. Generell ist fraglich, inwieweit Deeskalationsversuche unternommen wurden. Auf das von Frau M monierte Anschreien wird nicht eingegangen. Im Polizeibericht unerwähnt bleibt das Einwirken auf die Mutter, den Urin aufzuwischen. Wie es dazu kam, sei hier dahingestellt – jedenfalls ließen es die Beamten zu. Für die Mutter eine Erniedrigung und Demütigung. Frau M nimmt den Vorfall dadurch als noch beschämender wahr, als dies ohnehin bereits der Fall ist.

Unser Fazit: Der nicht professionelle Umgang mit einer Person in einem psychischen Ausnahmezustand ist offenkundig. Daher verwundert es, dass in der Stellungnahme der Polizei darauf abgehoben wird, dass der Umgang mit psychisch Kranken keine Seltenheit im polizeilichen Alltag darstelle. Wenn dieser Fall den Alltag abbildet, ist das besorgniserregend. Auch das Verhalten der Beamten gegenüber der Mutter ist nicht zu tolerieren, da eine Erniedrigung zumindest billigend in Kauf genommen wurde. Wir sehen die Würde der jungen Frau und ihrer Mutter als verletzt an.

Wir sind uns darüber im Klaren, dass die Arbeit der Polizei keine leichte ist. Gerade der Umgang mit Menschen, die sich in einer psychischen Ausnahmesituation befinden und dabei aggressive Verhaltenszüge an den Tag legen, ist extrem herausfordernd. Dennoch fragen wir uns, ob im Fall von Frau M die Grundsätze des Leitbilds der Landespolizei überhaupt Beachtung gefunden haben. Zitate daraus:

• Für uns steht der Mensch im Mittelpunkt – wir achten die Würde jedes Menschen, Menschlichkeit und Gerechtigkeit sind unser Ziel, das Menschenbild des Grundgesetzes ist für uns verbindlich.

• Bürgernähe führt uns zum Erfolg – wir treten freundlich, korrekt und hilfsbereit auf, Konflikte handhaben wir einfühlsam und kompetent, mit Dienstleistungen rund um die Uhr gewinnen wir das Vertrauen der Bürger.

Was wir bei der Aufarbeitung durch das Polizeipräsidium vermissen, ist eine konstruktive Auseinandersetzung mit Aspekten, wie es hätte besser laufen können. Stattdessen wurden straf- und dienstrechtliche Verfehlungen geprüft – der Fokus lag allein auf der Rechtmäßigkeit. Fragen nach der Zweckmäßigkeit und Qualitätsverbesserung wurden dabei vollständig ausgeblendet. Der Hinweis auf eine Bewertung „am grünen Tisch“, die möglicherweise das aggressive Verhalten von Frau M ausblende, steht sinnbildlich dafür, dass ein Diskurs nicht gewollt ist und es primär um die Abwehr von Vorwürfen geht. Aber gerade der offene Diskurs wäre wertvoll gewesen. Impulse dafür, auch von außen, müsste die Polizei zulassen. Im Fall von Frau M sehen wir das nicht.

Verpflichtende Fortbildungen durch externe Fachleute

Die Polizei wird bei Einsätzen immer wieder mit psychisch kranken Menschen oder solchen in einem psychischen Ausnahmezustand konfrontiert. In solchen Situationen ist es wichtig, dass die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten über ein angemessenes Verständnis für psychische Erkrankungen verfügen und im Umgang mit den erkrankten Menschen umfassend geschult sind. Die Schulungen tragen dazu bei, Vorurteile und Stigmatisierung abzubauen und das notwendige Wissen und die Fähigkeiten zu vermitteln, um in schwierigen Situationen deeskalierend zu reagieren.

Nicht nur anhand der bekanntgewordenen Vorfälle in Mannheim und Offenburg, wird dringender Handlungsbedarf auch im Berichtsjahr 2022 deutlich. Die Bürgerbeauftragte fordert verpflichtende Fortbildungen der Beamtinnen und Beamten des Polizeivollzugsdienstes durch externe Fachleute in Bezug auf den Umgang mit psychisch erkrankten oder sich in einem Ausnahmezustand befindlichen Menschen.

Viele Hundert Tage Wartezeit

Fachkräfte verzweifelt gesucht? Fachkräfte gefunden: weit hinter den Grenzen von Europa, oft im nahen und fernen Osten, hochqualifiziert, hochmotiviert und mit der Arbeit und dem Leben in Deutschland hochzufrieden. Wenn da nur die Sehnsucht nach den Liebsten nicht wäre.

Familienzusammenführung beschleunigen. Die Fachkräfte selbst haben wir im Blick, nicht aber ihre Angehörigen. Deren Nachzug nach Deutschland muss künftig schneller gehen – auch ohne dass die Bürgerbeauftragte erst noch den Turbo zuschalten muss. Das würde es auch leichter machen, die heißbegehrten Fachkräfte für unser Land zu gewinnen. Andere Staaten sind da längst weiter, und die internationale Konkurrenz ist groß.

Im November 2022 wendet sich ein junger Mann an uns, er stammt aus Indien und lebt bereits seit mehreren Jahren als hochqualifizierte Fachkraft in Deutschland, wir nennen ihn Dr. I. Er beschreibt das zermürbend langsame Verfahren, ein Visum zur Familienzusammenführung zu bekommen. Denn seine Lebenspartnerin will ihm aus Indien nach Deutschland folgen. Das Paar hat im Dezember 2021 geheiratet und sich umgehend, jedoch monatelang erfolglos um einen Termin in der deutschen Botschaft in Indien bemüht, um das Visumverfahren einzuleiten. Zehn Monate nach dem ersten Schreiben an die Botschaft bekommen sie endlich den Termin. Die Erleichterung des Paares hält nicht lange an: Die deutsche Ausländerbehörde teilt ihnen mit, dass das Verfahren in Deutschland wegen der vorgeschriebenen Überprüfungen erneut mehrere Monate in Anspruch nehmen könne.

In dieser Situation bittet uns Dr. I um Hilfe. Enttäuscht äußert er den Eindruck, dass Fachkräfte ohne große Hürden und so schnell wie möglich nach Deutschland einreisen dürfen, ihre Angehörigen dann aber sehr wenig Beachtung finden oder ihnen sogar Steine in den Weg gelegt werden. Durch unsere Vermittlung, bei der wir unter anderem auf die überlange Verfahrensdauer in Indien verweisen, kann das Verfahren deutlich beschleunigt werden. Von schnell kann hier dennoch keine Rede sein: Nach insgesamt über 450 Tagen des Wartens trifft die Ehefrau endlich in Deutschland ein.

Der Fall von Dr. I und seiner Partnerin steht beispielhaft für die vielen Paare und Familien, die durch überlange Verfahren schmerzlich lange voneinander getrennt waren und sind. Meist resultieren die Verzögerungen aus einem Zusammenspiel von Corona-Maßnahmen, Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine und Fachkräftemangel in den Behörden. Wenn dann noch zusätzliche Verzögerungen bei einzelnen Stellen auftreten, lässt das viele Betroffene verzweifeln. Wir drängen auf schnellere Verfahren und zügiges, unbürokratischeres Behördenhandeln.

Hinterher ist oft vieles klarer

Im Juni 2022 erreicht uns die Beschwerde eines älteren Herrn, wir nennen ihn N, über das Auftreten eines Polizeibeamten. Aus seiner Sicht hat sich das Geschehnis wie folgt zugetragen: Herr N ist mit dem Auto auf einer Landstraße unterwegs, als er nach einer leichten Kurve einen Streifenwagen erblickt, der mit eingeschaltetem Blaulicht quer auf der Straße steht und beide Fahrbahnen blockiert. Herr N hält an und steigt aus seinem Wagen aus, um sich über die Situation zu informieren. Ein junger Polizeibeamter nähert sich und ruft nach Herrn Ns Empfinden unfreundlich und patzig, dass die Straße gesperrt ist. Herr N fragt nach dem Grund für die Sperrung – ob ein Unfall passiert ist? Im gleichen Tonfall folgt die Antwort: „Sie sehen doch, dass dort unten ein Rettungsfahrzeug steht!" Tatsächlich entdeckt Herr N nun hinter der abschüssigen Straße in einer Linkskurve den Rettungswagen. Auf seine Frage, ob die Sperrung länger andauert und welchen Weg er nun fahren soll, erhält er die als arrogant empfundene Antwort, dass er eine Ausweichstrecke nehmen solle. Herr N will daraufhin sein Auto wenden, als er im gesperrten Streckenabschnitt Motorradfahrer erblickt, die nach seinem Empfinden mit höherer Geschwindigkeit am quergestellten Polizeifahrzeug vorbeifahren. Herr N unterbricht sein Wendemanöver, um einen Zusammenstoß mit den Motorradfahrern zu verhindern.

Herr N beschwert sich bei uns darüber, dass vor dem quergestellte Polizeifahrzeug nicht in angemessener Entfernung gewarnt worden sei. Er zeigt sein Unverständnis darüber, dass auf der gesperrten Straße plötzlich Motorradfahrer entgegenkommen und am quergestellten Polizeifahrzeug vorbeifahren konnten. Sein Hauptanliegen ist aber, dass der junge Polizeibeamte in Bezug auf die Kommunikation mit Bürger*innen sensibilisiert werden solle.

Wir wenden uns mit der Beschwerde an das zuständige Polizeipräsidium und bitten um eine Stellungnahme. Die Darstellung der Polizei liest sich dann doch etwas anders, als die Version des Pensionärs. Aus der mitversandten Pressemitteilung zu dem Unfall geht Folgendes hervor – ein Auszug daraus: „Ein Motorradfahrer verlor in einer Linkskurve die Kontrolle über seine Maschine und stürzte. Er wurde lebensgefährlich verletzt. Trotz sofort eingeleiteter Rettungsmaßnahmen verstarb er noch an der Unfallstelle. Die Landstraße musste für die Unfallaufnahme längere Zeit in beide Fahrtrichtungen gesperrt werden.“

Laut Polizei soll es sich bei den entgegenkommenden Motorradfahrern um Ersthelfer gehandelt haben, die von der Unfallstelle kamen, also nicht durchgelassen worden sind. Der junge Polizeibeamte war rund eine halbe Stunde lang an der Reanimation des später verstorbenen Motorradfahrers beteiligt. Vor der Begegnung mit Herrn N hatte er bereits mehrere Autofahrer zum Umdrehen bewegen und Fragen zur Wegstrecke beantworten müssen. Auf die barschen Fragen Ns habe der Beamte seiner Ansicht nach im gleichen Ton geantwortet. Man habe ihn aber dazu angehalten, auch in Ausnahmesituationen künftig mehr auf sein Auftreten zu achten. Der querstehenden Streifenwagen soll laut Polizei von Weitem erkennbar gewesen sein. Eine zusätzliche Absicherung sei daher nicht notwendig gewesen.

Was war nun das Problem? Im Kern handelte es sich um das Zusammentreffen eines gestressten jungen Polizeibeamten und eines genervten, verunsicherten und lebensälteren Autofahrers. Vielleicht handelte es sich auch um eine Art Generationenkonflikt. Wir haben es bereits öfters erlebt, dass sich gerade lebensältere Menschen mitunter schwertun können, Anweisungen von jungen Menschen in Polizeiuniform zu akzeptieren. Die unterschiedliche Wahrnehmung hinsichtlich des Verhaltens der Motorradfahrer und auch der Sichtbarkeit und Position des querstehenden Streifenwagens war insofern ein Randkonflikt.

Dem Bürger konnten wir zurückmelden, dass der Polizeibeamte sensibilisiert werde. Zudem fand eine Art Qualitätskontrolle in Bezug auf den Einsatz – insbesondere der Position des Streifenwagens statt.

Einschätzung der Bürgerbeauftragten: Der Arbeitsalltag der Polizeibeamtinnen und –beamten ist herausfordernd. Es bedarf schon einem dicken Fell, zuerst einen verunglückten Motorradfahrer erfolglos zu reanimieren und dann anschließend pampigen und genervte Autofahrern mitzuteilen, dass sie sich eine andere Fahrstrecke suchen sollen und diese nichts von dem tragischen Unfalltod des Bikers wissen. Wir halten es für sehr nachvollziehbar und nur menschlich, dass der junge Polizeibeamte ein wenig „Nerven zeigte“. Wichtig ist, dass sich das Handeln erklären lässt, damit es besser begreiflich wird.

Wenn Racial Profiling auf Cop Culture trifft

Im Juni 2020 sorgte die „Stuttgarter Krawallnacht“ bundesweit für Schlagzeilen und in der Landeshauptstadt dafür, dass allseits Stimmen laut wurden, die sich für eine deutliche Stärkung der Jugendsozialarbeit aussprachen und bei der Polizei einen konfliktfreieren Umgang mit Jugendlichen anmahnten. Dieses Beispiel zeigt, dass noch viel Verbesserungspotenzial vorhanden ist. Es geht um den Verdacht von Racial Profiling und machtdemonstrierende Übergriffe von Polizeibeamten gegenüber Jugendlichen. Und es geht um Cop Culture: um falsch verstandene Loyalität und unguten Korpsgeist innerhalb der Polizei.

Scheuklappen: Nicht gut ist, wenn bei Führungskräften der Polizei das Bemühen fehlt, grundlegende Missstände in den eigenen Reihen aktiv anzugehen, ja sie überhaupt nur zu sehen. Geht man ihnen nicht nach, dann bedeutet das, falsches Verhalten im Nachhinein sogar noch gutzuheißen.

Vier Polizeibeamte kontrollieren am 14. Juli 2020 eine Gruppe Jugendlicher auf dem Weg zum Jugendhaus. Unter ihnen ist C, ein dunkelhäutiger Junge mit Migrationshintergrund. Er befolgt die Anweisungen der Polizei. Bis plötzlich einer der Polizisten dem 14-Jährigen die Hose bis zu den Knien herunterzieht und ebenso auch bei den anderen dunkelhäutigen Jungen – und nur bei diesen – so verfährt. C und seine Mutter wenden sich an die Jugendsozialarbeiter V und N. Die beschweren sich Anfang August bei der Bürgerbeauftragten über das Verhalten des Polizeibeamten. Wir wenden uns an die Landespolizeipräsidentin. Denn wir halten eine intensive und schnelle Prüfung für erforderlich, ob die getroffenen Maßnahmen gegenüber C und den anderen minderjährigen Betroffenen recht- und zweckmäßig waren. Und ob eine Ungleichbehandlung der Kontrollierten stattgefunden haben könnte, die allein auf deren Herkunft und Aussehen basierte. Dringend empfehlen wir außerdem ein Gespräch zwischen der Polizei und dem Jungen C, seiner Mutter und einem der Sozialarbeiter und bieten uns als Vermittlerin an. Aufgrund von früheren Traumatisierungen Cs (Flucht- und Gewalterfahrungen) bitten wir darum, dass das Gespräch zeitnah stattfindet. Schnelle, intensive Prüfung, ein zeitnahes Gespräch? Das haben wir in dieser mit Blick auf die Geschehnisse vom Juni 2020 hochsensiblen Zeit tatsächlich erwartet. Doch statt sofort zu reagieren und proaktiv auf C und die Sozialarbeiter zuzugehen, wird uns einen Monat später eine Stellungnahme zugestellt, laut der das zuständige Polizeipräsidium alle Vorwürfe bestreitet und von einer entspannten, kooperativen Stimmung während der Kontrolle berichtet. Kein Herunterziehen von Hosen, keine Ungleichbehandlung. Immerhin: „Aufgrund der stark divergierenden Angaben“ halten Landes- und zuständiges Polizeipräsidium es für sinnvoll, das Geschehene bei einem Gespräch aufzuarbeiten. Wir schildern die Sichtweise der Polizei den Sozialarbeitern V und N, die daraufhin mit C und seiner Mutter sprechen.

C und seine Mutter sind bestürzt, dass die Polizei den Beschwerdesachverhalt einfach so abstreitet. Sie stehen der Polizei nun umso kritischer gegenüber. C ist enttäuscht, dass seinen Aussagen seitens der Polizei kein Gewicht beigemessen worden ist. Die Sozialarbeiter V und N bekräftigen nochmals, dass sie C als sehr glaubwürdig einschätzen, und auch wir halten die Rückmeldung, die wir von C und seiner Mutter bekommen haben, für glaubhaft. Deshalb starten wir einen zweiten Anlauf. Wir berichten der Landespolizeipräsidentin, wie ihre Stellungnahme und das Gesprächsangebot bei C ankamen und warum wir den Fall nicht einfach so ad acta legen können. Wir betonen, wie wichtig es ist, dass die Polizei – und zwar nicht nur in Stuttgart – auf die Jugendlichen zeitnah zugeht und ihre Anliegen ernst nimmt, und bitten darum, den Vorfall vom 14. Juli polizeiintern nochmals anzuschauen. Wir berichten, dass wir das Angebot der Bürgerbeauftragten auch bei Jugendlichen bekannter machen wollen. Und wir bieten an, für einen Austausch darüber zur Verfügung zu stehen, wie wir die Landespolizei hinsichtlich der Anliegen und Beschwerden von Jugendlichen unterstützen können.

Im Januar antwortet die Landespolizeipräsidentin, indem sie das Gesprächsangebot an C wiederholt. Mitte Februar informieren wir die Sozialarbeiter V und N, dass wir sehr unzufrieden mit der Bearbeitung durch das Polizeipräsidium sind. Es hat die Chance vertan, Basisarbeit im Verhältnis zu Jugendlichen zu leisten. Gerade mit Blick auf die Proteste in Stuttgart hätte der Fall sensibler behandelt werden müssen. Auch die Botschaft an die Sozialarbeiter hätte eine andere sein müssen. Der Landespolizeipräsidentin geben wir die Rückmeldung, dass die Bearbeitung des Falls durch das zuständige Polizeipräsidium nicht gut lief und eine schnellere Reaktion hätte erfolgen müssen. Wir teilen mit, dass der Verdacht diskriminierenden Verhaltens für uns nicht ausgeräumt ist, da wir die Schilderungen von C nach wie vor für glaubwürdig halten.

Das zuständige Polizeipräsidium setzt sich aus unserer Sicht noch zu wenig mit den immer wieder aufkommenden Anschuldigungen des Racial Profiling und der Grundproblematik von Diskriminierung durch die Polizei auseinander. Die Polizeiführung muss noch mehr gegen Cop Culture unternehmen und die Werte, dass die Polizei für alle Menschen da ist, mehr in den Fokus nehmen.

Für Jugendliche ist unmittelbare Rückmeldung wichtig. Eine Reaktion erst mehrere Monate danach kommt zu spät. Der Eindruck, dass die Polizei ihren Schilderungen keinen Glauben geschenkt hat, vertieft das negative Bild der Polizei bei den Jugendlichen. Es hätte unmittelbar ein klärendes Gespräch erfolgen müssen – bei künftigen Fällen werden wir noch eindringlicher darauf hinwirken.

Keine Wohnung für eine Familie

Beantragt ein Geflüchteter eine Familienzusammenführung, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein, und dazu zählt auch eine ausreichend große Wohnung. Ein Vermieter wusste das genau – und versuchte, die zuständige Behörde auszutricksen.

Genau hinschauen:Dieses Beispiel verdeutlicht, warum das Team der Bürgerbeauftragten immer auch die Eingaben und Beschwerden kritisch hinterfragen muss.

Im Mai 2022 wendet sich der Vermieter des Geflüchteten F an uns. Er berichtet, er habe eine 50 Quadratmeter große Wohnung an Herrn F und seine Familie vermietet. Die Familie warte gerade darauf, dass ihre Zusammenführung genehmigt werde – eine ausreichende Unterkunft gehört zu den Voraussetzungen für den Nachzug der Familie. Allerdings lege ihnen die Ausländerbehörde zu Unrecht Steine in den Weg: Trotz vorliegendem Mietvertrag glaube die zuständige Bearbeiterin Herrn F und dem Vermieter nicht, dass die Unterkunft in der beschriebenen Form existiert, und verlange, Fotos von der Wohnung zu sehen.

Der Vermieter schildert uns, dass die betreffende Sachbearbeiterin schon oft versucht habe, die Zusammenführung der Familie und das Visum hinauszuzögern, und zeichnet ein Bild von Gängelung und Schikane. Er bittet das Team der Bürgerbeauftragten, etwas gegen dieses ungerechtfertigte Verhalten zu unternehmen.
Wir nehmen sogleich Kontakt mit der zuständigen Behörde auf. Die teilt uns jedoch mit, dass und welche Anzeichen es dafür gebe, dass die Wohnung in der vom Vermieter beschriebenen Form tatsächlich nicht existiere. Wir bestärken die Behörde, ihren Zweifeln nachzugehen. Daraufhin verlangt sie, die Wohnung besichtigen zu dürfen – was der Vermieter aber verweigert. Schlussendlich stellt sich heraus: In der vermieteten Kellerwohnung hat es nie und nimmer Platz für eine ganze Familie.

Herr F hat mittlerweile eine andere Wohnung im Landkreis gefunden. Den Nachzug seiner Familie hat die zuständige Sachbearbeiterin daraufhin umgehend ermöglicht.

Keine Wohnung für eine Familie

Beantragt ein Geflüchteter eine Familienzusammenführung, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein, und dazu zählt auch eine ausreichend große Wohnung. Ein Vermieter wusste das genau – und versuchte, die zuständige Behörde auszutricksen.

Genau hinschauen:Dieses Beispiel verdeutlicht, warum das Team der Bürgerbeauftragten immer auch die Eingaben und Beschwerden kritisch hinterfragen muss.

Im Mai 2022 wendet sich der Vermieter des Geflüchteten F an uns. Er berichtet, er habe eine 50 Quadratmeter große Wohnung an Herrn F und seine Familie vermietet. Die Familie warte gerade darauf, dass ihre Zusammenführung genehmigt werde – eine ausreichende Unterkunft gehört zu den Voraussetzungen für den Nachzug der Familie. Allerdings lege ihnen die Ausländerbehörde zu Unrecht Steine in den Weg: Trotz vorliegendem Mietvertrag glaube die zuständige Bearbeiterin Herrn F und dem Vermieter nicht, dass die Unterkunft in der beschriebenen Form existiert, und verlange, Fotos von der Wohnung zu sehen.

Der Vermieter schildert uns, dass die betreffende Sachbearbeiterin schon oft versucht habe, die Zusammenführung der Familie und das Visum hinauszuzögern, und zeichnet ein Bild von Gängelung und Schikane. Er bittet das Team der Bürgerbeauftragten, etwas gegen dieses ungerechtfertigte Verhalten zu unternehmen.
Wir nehmen sogleich Kontakt mit der zuständigen Behörde auf. Die teilt uns jedoch mit, dass und welche Anzeichen es dafür gebe, dass die Wohnung in der vom Vermieter beschriebenen Form tatsächlich nicht existiere. Wir bestärken die Behörde, ihren Zweifeln nachzugehen. Daraufhin verlangt sie, die Wohnung besichtigen zu dürfen – was der Vermieter aber verweigert. Schlussendlich stellt sich heraus: In der vermieteten Kellerwohnung hat es nie und nimmer Platz für eine ganze Familie.

Herr F hat mittlerweile eine andere Wohnung im Landkreis gefunden. Den Nachzug seiner Familie hat die zuständige Sachbearbeiterin daraufhin umgehend ermöglicht.