Fall des Monats

Der doppelte Nutzen

Ein älterer Mann will von einem Polizeibeamten eine Auskunft haben, wird barsch abgewiesen, unangemessen angeredet, schließlich aus dem Weg geschubst. Eine Passantin wird Zeugin der Szene. Was im Vorfeld vorgefallen war, hat sie nicht mitbekommen, sie weiß aber: So geht’s ja nicht! Das Geschehnis will sie nicht einfach abhaken, ruft bei der nächstgelegenen Polizeiwache an und will das Erlebte berichten. Und hat prompt ein zweites „So nicht!“-Erlebnis: Der Wachhabende wimmelt sie einfach ab, ungehört. Unerhört!

Feedback für beide Seiten: Eine Frau bekommt das (scheinbar) unangemessene Verhalten zweier Polizeibeamter nachvollziehbar erklärt. Die wiederum bekommen gespiegelt, wie ihr Vorgehen auf Außenstehende wirkt – und damit die Chance, ihre Arbeit künftig (noch) besser zu machen.

Was also hat die Passantin Frau P an jenem Nachmittag des 3. Dezembers 2022 miterlebt? Sie sieht den älteren Mann auf einen Polizeibeamten zugehen und hört, dass er ihn um eine Telefonnummer bittet, bei der er anrufen könne. Klar also, dass vor Ps Erscheinen schon irgendetwas im Gange gewesen sein muss. Jetzt bekommt sie mit, dass der Polizist sehr barsch erwidert: „Nein, geh jetzt weg! Du sollst abhauen!“ Der Beamte geht zu seinem Wagen, der Mann folgt ihm, wiederholt seine Bitte. An der Fahrertür des Wagens angelangt, streckt er dem Beamten einen Ausweis entgegen, hält aber Abstand, etwa 1,5 Meter. Der Beamte steigt ins Auto, der Mann bleibt neben dem Fahrzeug stehen. P schätzt, dass der Abstand so groß war, dass der Beamte ohne Probleme hätte losfahren können. Doch der steigt aus und stößt den Mann mit großem Kraftaufwand weg. Später wird Frau P diesen Vorgang uns gegenüber als „unangemessen und grundlos heftig“ beschreiben.

Keine halbe Stunde nach diesem Vorfall ruft Frau P ein nahes Polizeirevier an, ein Beamter meldet sich, P fragt ihn, wo sie ein unangemessenes Verhalten der Polizei melden könne. Statt Auskunft zu geben, habe er ihr erläutert, dass sie als Bürgerin gar nicht richtig einschätzen könne, ob ein Fehlverhalten der Polizei vorgelegen habe. Eine pauschale Belehrung, ohne den Sachverhalt zu kennen – überhaupt habe der Beamte keinerlei Interesse gezeigt, zu erfahren, was denn ge­schehen war. Erst nach mehrmaligem Nachhaken habe er P gesagt, dass sie im Internet nach Anlaufstellen suchen könne.

So stößt Frau P auf die Bürgerbeauftragte und nimmt noch am selben Abend über das Formular auf unserer Website Kontakt zu uns auf. Sie beschreibt die Vorfälle in groben Zügen, am 9. Dezember telefonieren wir ausführlich darüber. Besonders stößt P auf, dass ein körperlicher Übergriff des Polizeibeamten auf einen alten, körperlich unterlegenen Mann nicht angemessen und auch nicht erforderlich gewesen sei – für sie habe es den Anschein gehabt, dass der Mann nur eine (in dieser Situation vielleicht unwillkommene) Frage gestellt hat. Das anschließende Telefonat mit dem Polizeirevier schildert sie uns als wenig hilfreich.

So weit also Ps Sicht auf das Geschehen. Diese geben wir am 14. Dezember an das Polizeipräsidium weiter und bitten um Stellungnahme. Am 30. Dezember schreibt uns der zuständige Revierleiter: Der beschriebene Vorgang und die beteiligten Polizeibeamten konnten zugeordnet werden, es sei damals zu einer Festnahme gekommen, an der jener ältere Mann vermutlich als Angehöriger oder Unterstützer des Festgenommenen beteiligt war – jedenfalls habe er mehrfach versucht, die Festnahme zu verhindern. Er habe herumgeschrien und versucht, zu der festgenommenen Person zu gelangen. Das von Frau P beobachtete Geschehen sollten wir nicht isoliert von dieser Vorgeschichte betrachten. Dennoch könne der Revierleiter nachvollziehen, dass die Anwendung direktiver Ansprache und einfacher körperlicher Gewalt auf Außenstehende irritierend wirken kann. Aus den Stellung­nahmen der beteiligten Beamten gehe hervor, dass die Anwendung des unmittelbaren Zwangs nachvollziehbar, erforderlich und auch nicht unverhältnismäßig gewesen sei, da die verbale Kommunikation nicht dazu geführt habe, das unangemessene Verhalten des Mannes zu unterbinden. Nicht zu tolerieren sei jedoch der zitierte Wortlaut in der „Du“-Form: Er werde den Polizei­beamten mit diesem Fehlverhalten konfrontieren.

Zum Anruf beim Polizeirevier führt er an: Der beteiligte Beamte habe auf die Option, dass man auch online an die Polizei herantreten kann, nur deshalb hingewiesen, weil Frau P es abgelehnt habe, zur Klärung des Sachverhalts eine Polizeidienststelle aufzu­suchen. Mitten im Telefonat sei hinzugekommen, dass dieser Beamte einen Einsatz mit flüchtenden Tatverdächtigen koordinieren musste und das Telefonat des­halb zügig beenden wollte.

Der Revierleiter bedauert, dass bei Frau P der Eindruck entstanden ist, die Polizei sei unangemessen tätig geworden und habe ihr Anliegen am Telefon nicht ausreichend ernst genommen. Für den Fall, dass bei Herr D sucht das Gespräch mit der städtischen Anti-diskriminierungsstelle. Im Februar 2022 wendet er sich an die Bürgerbeauftragte des Landes und schildert uns die Vorfälle. Es geht ihm sowohl darum, den Einsatz der Taschenlampe bei der Kontrolle im vergangenen November ins rechte Licht zu rücken, als auch darum, endlich eine Antwort auf seine Beschwerde aus dem Jahr 2019 zu erhalten. Und nicht zuletzt berichtet Herr D uns, was er auch bei seiner Dienstaufsichtsbeschwerde angegeben hatte, was dort aber ohne Berücksichtigung blieb: Die Art und Weise, wie die Taschenlampe eingesetzt worden ist, kann jemand bezeugen. Ein Nachbar von Herrn D hat die gesamte Verkehrskontrolle im November 2021 miterlebt.

Wir nehmen Kontakt zu dem Nachbarn auf, bald liegt uns dessen schriftliche Beschreibung des Geschehens vor. Wir recherchieren, um wie viel Uhr die Abend­dämmerung an jenem Tag im November begann. Und kommen zu dem Schluss: Zweifelhaft ist, ob es bereits dämmrig und der Einsatz einer Taschenlampe damit begründbar war. Eindeutig aber ist die Aussage des Nachbarn: mehrfaches gezieltes Leuchten in Ds Gesicht.

Anfang April 2022 fassen wir die beiden Vorfälle in einem vierseitigen Schreiben an das Polizeipräsidium zusammen und bitten darum, deren Zweck- und Recht­mäßigkeit zu prüfen und das Auftreten des Beamten zu beurteilen. Für uns besteht Anlass zur Sorge, dass versucht wurde, Herrn Ds Vorwurf zu entkräften, indem das Ausleuchten der Kontrollstelle vorgeschoben wurde. Auch wollen wir wissen, ob es zu dem Vorfall im Jahr 2019 noch Unterlagen gibt und ob Ds damalige Beschwerde geprüft wurde und zu Maßnahmen innerhalb der Polizei geführt hat. Und ob es ähnliche Beschwerden über den Polizeibeamten gibt wie jene von Herrn D. Wir schildern, dass Herr D keine andere Erklärung für die Art und Häufigkeit der Kontrollen finden kann als seine Hautfarbe und der Polizei Racial Profiling vorwirft.

Im Mai erklärt uns das Polizeipräsidium, dass keine Beschwerde Herrn Ds aus dem Jahr 2019 vorliege und die Daten zur damaligen Verkehrskontrolle aufgrund gesetzlicher Fristen bereits gelöscht seien. Unsere Aus­führungen habe man weitergeleitet: Die Staatsanwaltschaft solle ermitteln. Die erlässt im beschleunigten Verfahren einen Strafbefehl gegen den Polizeibeamten, der legt Einspruch ein, 2023 kommt es zu einem Gerichtsprozess.

Der Verdacht einer versuchten Nötigung lässt sich im Prozess dann nicht erhärten. Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Anklage auf die Aussagen Herrn Ds und seines Nachbarn, plädiert schlussendlich aber auf Freispruch des Polizeibeamten. Ob es ein Fall von Racial Profiling war, kann nicht geklärt werden. Für Herrn D ist das bitter. Er dankt dem Team der Bürgerbeauftragten für das Engagement, bleibt aber dabei: Er fühlt sich von dem Polizeibeamten nach wie vor rassistisch diskriminiert. Nur beweisen lasse sich das eben nicht.

Das Polizeipräsidium war und ist davon überzeugt, dass alles richtig gelaufen sei – ohne auf offensichtliche Fehler in der Argumentation wirklich einzugehen. Zum Beispiel: Warum kam eine Taschenlampe zum Einsatz, wenn es noch gar nicht dunkel war? Für uns bleiben Fragen offen. Positiv sehen wir, dass das Poli­zeipräsidium den Vorfall zum Anlass genommen hat, seine Beamtinnen und Beamten hinsichtlich der Durchführung von anlasslosen Verkehrskontrollen zu sensibilisieren.

Deutsch, tschechisch oder staatenlos

In einer außergewöhnlichen und besonders vertrackten Lage fand sich eine ältere Dame wieder, als sie ihren Pass verlängern wollte und erfuhr: Sie ist eventuell gar keine Deutsche mehr. Sondern Tschechin. Aber vielleicht auch keins von beidem. Die Frau fiel aus allen Wolken – und landete vor einem riesigen Problem.

Doppelpass? Doppeltes Netz! Einer Bürgerin drohte der Verlust ihrer deutschen Staatsbürgerschaft und sie fürchtete, staatenlos zu werden. Ein Fall für das Europäische Netzwerk ENO und das baden-württembergische Innenministerium.

Die ältere Dame, nennen wir sie Frau D, wächst in Deutschland als deutsche Staatsbürgerin auf und hat auch nie woanders gelebt. Ihre Eltern stammen aus der heutigen Tschechischen Republik und laut ihrer Geburtsurkunde war sie zunächst auch im Besitz der tschechischen Staats­angehörigkeit. Im Jahr 2004 besucht Frau D die frühere Heimatstadt ihrer Eltern in Tschechien. Die Suche nach ihren Wurzeln führt sie auch ins dortige Rathaus, wo sie die Geschichte ihrer Eltern und auch ihre eigene Lebensgeschichte erzählt. Prompt erhält sie ein Dokument, dem sie zunächst keine größere Bedeutung zuschreibt. Was ihr zu diesem Zeitpunkt nicht klar ist: Dieses Dokument stellte ihre (vermeintliche) tschechische Staatsbürgerschaft fest.

18 Jahre später, im Juli 2022, zeigt Frau D das Dokument beim Landratsamt vor. Denn sie will dort ihren Pass verlängern lassen und dabei die Gelegenheit nutzen, zu klären, was dieses Schreiben eigentlich zu bedeuten hat. Die Behörde deutet das Dokument so: Frau D hat 2004 die tschechische Staatsbürgerschaft beantragt – und damit automatisch ihre deutsche Staatsbürger­schaft verloren. Das entspricht auch der damaligen Rechtslage, denn sogenannte Doppelpässe waren damals nicht möglich. Frau D ist entsetzt: Niemals wäre sie auf die Idee gekommen, dass sie mit dem kurzen Gespräch im tschechischen Rathaus die Wiedererlangung ihrer tschechischen Staatsbürgerschaft veranlasst hat. Und nie hätte sie damit gerechnet, dass sie vor 18 Jahren ihre deutsche verloren haben könnte!

Das Landratsamt verweist sie ans Generalkonsulat der Tschechischen Republik: Dort solle sie einen Ausweis beantragen. Das tschechische Konsulat erklärt ihr, das besagte Dokument alleine sei noch kein Beleg dafür, dass sie tatsächlich Tschechin ist – sie müsse ein Verfahren zur Überprüfung ihrer Staatsbürgerschaft beantragen. Dieses Verfahren stellt Frau D jedoch vor unlösbare Probleme: Viele Passagen der tschechischen Antragsformulare versteht sie nicht. Sie kann nicht alle geforderten Dokumente beibringen. Und schließlich ist es ihr aufgrund ihrer geringen Rente nicht möglich, die Kosten für die offiziellen Übersetzungen zu tragen. In dieser Situation – zwischen allen Stühlen und ohne Ausweisdokumente – wendet sich Frau D im Januar 2023 an das Team der Bürgerbeauftragten. Sie erzählt uns von ihrer Reise im Jahr 2004 und versichert glaubhaft: Weder ist sie damals über ein etwaiges Staatsbürgerschaftsverfahren informiert worden, noch hat man ihr mitgeteilt, dass sie darüber ihre deutsche Staatsbürgerschaft verlieren könnte.

Wir erörtern zunächst die Lage, insbesondere die schwierige Rechtslage, mit dem zuständigen Landratsamt. Die Behörde bemüht sich zwar sehr, eine Lösung zu finden, doch auf deutscher Seite scheint das Staatsbürgerschaftsrecht keinen Spielraum zu lassen. Welche Verfahren die tschechische Seite durchführt, ist unklar. Deshalb setzen wir uns mit dem tschechischen Konsulat in Verbindung und als man dort seinerseits auf zwingende Verfahren verweist, mit dem tschechi­schen Ombudsmann. Mit ihm steht die Bürgerbeauftragte bereits über das ENO-Netzwerk in Kontakt. Doch auch dieser Weg führt nicht weiter.

Wir ziehen das Bundesverwaltungsamt hinzu – aber auch dort kann man Frau D nicht helfen. Schließlich wenden wir uns an das baden-württembergische Innenministerium. Die dortigen Beamtinnen und Beamten stufen Frau Ds Fall ebenfalls als rechtlich sehr komplex ein und führen eine umfassende Prüfung durch. Nach Monaten quälender Ungewissheit kann dann mithilfe des Ministeriums doch noch eine Lösung gefunden werden – im November 2023 bekommt Frau D endlich ihren deutschen Pass zurück.

Verständnis schaffen - auf beiden Seiten

Ein Mann fährt alkoholisiert Auto, zwei Polizeibeamte halten ihn an, lassen ihn ins Röhrchen pusten und nehmen ihn für eine Blutprobe mit aufs Revier. So weit, so unspektakulär. Wäre da nicht die verstörte Ehefrau auf dem Beifahrersitz. Zwar versuchen die beiden Beamten noch, einen Verwandten zu verständigen, lassen die Frau dann aber alleine im Auto zurück. Denn sie schätzen das Ausmaß ihrer Verstörung schlicht nicht richtig ein – und das hat Folgen.

Achtung, Sprachbarriere! Manchmal geht es „nur“ darum, die Hilflosigkeit eines Menschen zu erkennen. Und darum, andere auf die eigene Hilflosigkeit aufmerksam zu machen. Im Nachhinein lässt sich auch in solchen Fällen manches Missverständnis ausräumen und eine noch höhere Sensibilität für künftige Vorkommnisse schaffen.

Das Problem in jener Nacht im Juni 2023 war, dass die Ehefrau, wir nennen sie Frau H, sich plötzlich hilflos, verlassen und verloren fühlte und das nicht zum Ausdruck bringen konnte. Das schildert uns Frau Hs Tochter wenige Tage nach dem Vorfall und nennt uns auch den Grund: Frau H ist nicht in Deutschland aufgewachsen, sie kann weder Deutsch sprechen noch Auto fahren und habe sich in jener Situation absolut überfordert gefühlt. Zwar konnten die Polizeibeamten wenig später doch noch einen Verwandten erreichen. Frau H blieb bis dahin jedoch alleine am Ort der Kontrolle zurück und durchstand bis zum Eintreffen des Verwandten viele angstvolle Minuten – eine Erfahrung, die sie bis heute sehr mitnehme.

In Absprache mit Frau H und ihrer Tochter wenden wir uns an das zuständige Polizeipräsidium. Als wir den Fall bei einem persönlichen Treffen mit dem Polizeipräsidenten ansprechen, regt dieser einen direkten Austausch zwischen der Betroffenen und dem zuständigen Revier an. Anfang Oktober setzen sich die Revierleitung und Frau Hs Tochter in unseren Räumen zusammen. Im gemeinsamen Gespräch kann die Tochter die Situation aus Sicht der Mutter darstellen und der Polizei erklären, weshalb sie für ihre Mutter so belastend war. Das stößt auf Verständnis. Andererseits bekommt auch die Tochter nachvollziehbar erklärt, warum es den Polizeibeamten damals nicht möglich war, Frau H nach Hause zu fahren.

Auch das Hauptproblem wird bei dem Gespräch schnell deutlich: Es war für die Beamten nicht zu erkennen, dass die Situation Frau H derart belastet und überfordert hat, weil sich Frau H gegenüber den Beamten nicht äußerte. Die Revierleitung betont, dass vor allem die beteiligte Beamtin sich in vielen Einsätzen bereits als besonders empathisch erwiesen habe und auf die Ängste der Frau sicher eingegangen wäre, wenn sie diese erkannt hätte. Deshalb nehme die Revierleitung gerne diesen neuen Eindruck mit und kündigt uns und der Tochter gegenüber an, die Beamtinnen und Beamten mit Verweis auf diesen speziellen Vorfall noch einmal zu sensibilisieren.

Frau Hs Tochter gibt uns die Rückmeldung, sie sei froh, dass sie die Sicht ihrer Mutter darstellen und dadurch zu einer weiteren Sensibilisierung beitragen konnte.

Genug vom langen Warten

Die Anfrage eines Ehepaars steht stellvertretend für viele ähnliche Eingaben, die uns im Jahr 2023 erreicht haben. Es geht um das Landesamt für Besoldung und Versorgung (LBV) und die dortigen Bearbeitungszeiten.

Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Ist eine Behörde von ihrer eigenen Zielvorgabe viele Jahre lang meilenweit entfernt, kann dies auf ein strukturelles Problem hindeuten. Das freilich lösbar sein kann, wie dieser Fall zeigt.

Die Eheleute, sagen wir Herr und Frau B, sind beide Beamte und bei Krankheits- und Pflegekosten angewiesen auf die schnelle Hilfe des LBV. Doch ob Arztrechnungen, Medikamente oder andere Belege: Bis das vorgestreckte Geld zurückerstattet wird, vergeht oft viel Zeit – die Bearbeitung der sogenannten Beihilfe­anträge dauert meist etliche Wochen, mitunter sogar mehrere Monate.

Herr B nimmt im Mai 2023 Kontakt zu uns auf. Er berichtet, dass die Bearbeitungszeiten seit dem letzten Jahr stetig zunehmen. Im Schnitt warte er sieben Wochen auf die Rückerstattung. Auf seine schriftlichen Nachfragen erhalte er, wenn überhaupt, nur eine vorformulierte Antwort mit dem Hinweis auf derzeit viele Anträge und einen hohen Krankenstand. Eine telefonische Kontaktaufnahme sei überhaupt nicht möglich.

Das Ehepaar B ist kein Einzelfall. Die beständige Anzahl von Kleinen Anfragen an die Landesregierung über die letzten Jahre zeigen, dass bei der Bearbeitung von Beihilfeanträgen offensichtlich seit Längerem ein strukturelles Problem vorliegt. In seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage hatte das fürs LBV zuständige Finanzministerium darauf verwiesen, dass durch die Neustrukturierung des Landesamts und die Einrichtung einer Steuerungsgruppe künftig zeitnah und flexibel auf Veränderungen im Arbeitsanfall reagiert werden könne. Das LBV selbst strebt eine maximale Bearbeitungsdauer von 20 Arbeitstagen an. Im Kundenportal des Landesamts wird aktuell aber weiterhin auf das hohe Arbeitsaufkommen und die langen Bearbeitungszeiten hingewiesen. Anspruch und Wirklichkeit klaffen also weit auseinander.

Anfang Juni bitten wir das Ministerium daher um Stellungnahme, wie mit der weiterhin unbefriedigenden Antragsbearbeitung beim LBV verfahren wird, da die bisherigen Maßnahmen offenbar nicht die erhoffte Wirkung zeigen. Und wir möchten wissen, ob es bereits Überlegungen gibt, aufgrund der langen Bearbeitungszeiten antragsfrei Abschlagszahlungen auf die zu erwartende Beihilfe zu leisten.

Mitte Juli antwortet das Ministerium uns ausführlich. Es nennt zahlreiche Ursachen für die langen Bearbeitungszeiten – unter anderem habe die Anzahl der vom LBV zu bearbeitenden Beihilfeanträge seit 2017 um mehr als 40 % zugenommen. Wie lässt sich das gestiegene Arbeitspensum bewältigen? Das Ministerium benennt einige personelle Maßnahmen, die geplant oder schon umgesetzt sind – man sei zuversichtlich, dass sich die Situation dadurch weiter entspanne.

Zu unserer Frage nach Abschlagszahlungen führt das Ministerium an, dass Beihilfeanträge für Leistungen im Wert von 5.000 Euro und mehr vorrangig bearbeitet und innerhalb weniger Tage ausbezahlt werden. Außerdem bestehe die Möglichkeit, eine Direktabrechnung mit stationären Einrichtungen zu beantragen; in solchen Fällen müsse man dann auch nicht mehr auf Rückerstattungen warten. Die von uns vorgeschlagenen Abschlagszahlungen seien wegen des zusätzlichen Bearbeitungsaufwands hingegen nicht möglich. In Einzel­fällen gewähre das LBV aber seit jeher Abschlagszahlungen, etwa im kostenintensiven Bereich der Pflege.

Wir geben diese Ausführungen Ende Juli an Herrn B weiter. Er bekräftigt die Zuversicht des Ministeriums: Die Bearbeitungszeiten haben sich auch bei ihm und seiner Frau inzwischen verkürzt. Gegen Ende des Jahres 2023 schien sich das Problem der langen Bearbeitungszeiten dann gänzlich gelegt zu haben – wir erhielten diesbezüglich keine Eingaben mehr.

Hier geht´s lang!

Staatliche Hilfen sind in aller Regel eine gute Sache für jene, denen solche Hilfen zustehen. Trotzdem können sie für Unmut sorgen: An wen muss man sich wenden, wo kann man sich informieren, ja wer erhält die Hilfen überhaupt und was ist dafür zu tun?

Schnell und unbürokratisch: Manchmal ist nur ein einziges Telefonat, ein einziger Mailwechsel nötig, um einer Bürgerin oder einem Bürger weiterzuhelfen. Ein Beispiel für die niedrigschwellige Lotsenfunktion der Bürgerbeauftragten und ihres Teams.

Mit einem sehr aufgebrachten Anrufer, wir nennen ihn Herrn A, haben wir es im Mai 2023 zu tun – es geht um den Härtefallausgleich für Heizöl und die damit verbundenen Regelungen. Am Telefon bringt er seine ablehnende Haltung sehr deutlich zum Ausdruck, er lässt seinem Unmut freien Lauf. Wir vermuten bald, dass Herr A sich schlicht überfordert und alleingelassen fühlt. Schnell stellt sich heraus, dass Herr A über 80 Jahre alt und das Digitale nicht seine Welt ist.

Kurz zuvor hatte er beim Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg angerufen, das er fälschlicherweise für zuständig hielt. Dort habe man ihn ohne größere Hilfestellung an uns verwiesen. Wir zeigen Verständnis für die komplizierte Situation und erläutern Herrn A, dass er alle Informationen zu den Härtefallhilfen für Privathaushalte beim Landesumweltministerium findet – und zwar auf dessen Website. Wir beschreiben ihm Schritt für Schritt den Weg dorthin. Zusätzlich geben wir ihm die Telefonnummer der Hotline für Härtefallhilfen. Herr A ist versöhnt – am Ende des Gesprächs bedankt er sich sehr herzlich.

Dieser Fall zeigt, wie wir durch niedrigschwellige und direkte Hilfestellungen Menschen bei der Lösung eines Problems beistehen und ihre Erfahrungen mit den Institutionen des Landes verbessern können. Solche Hilfen und Kontakte bewirken jedoch noch viel mehr: Sie können Akzeptanz schaffen und ein Gefühl des Mitgenommenwerdens entstehen lassen. Gerade in der heutigen Zeit halten wir dies für außerordentlich wichtig, um der wachsenden Politik- und Demokratiever­drossenheit entgegenzuwirken.